Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte in den Streitjahren 2009 bis 2012 Einkünfte aus der Veräußerung von Kapitalanlagen i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG erzielt. Die Depotbank stellte über die hierbei erzielten Gewinne nach der Verrechnung mit den im jeweiligen Streitjahr erlittenen Verlusten eine Steuerbescheinigung aus. Der Kläger stellte in den Einkommensteuererklärungen der Streitjahre jeweils den Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG. Außerdem beantragte er die Verrechnung der Altverluste i.S.d. § 23 EStG a.F. mit den von der Depotbank bescheinigten Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 6 Satz 1, § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG.
Das Finanzamt verrechnete in den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheiden der Streitjahre die Altverluste antragsgemäß mit den von der Depotbank bescheinigten Gewinnen und stellte auf dieser Grundlage den verbleibenden Verlustvortrag aus den Altverlusten jeweils zum 31.12. der Streitjahre fest. Mit Schreiben vom 9.4.2014 beantragte der Kläger, die in den Streitjahren erzielten Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanlagen i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG vorrangig mit den Altverlusten i.S.d. § 23 EStG a.F. und erst anschließend mit den Verlusten aus Kapitalvermögen des jeweiligen Streitjahrs zu verrechnen und die danach verbleibenden Verluste aus Kapitalvermögen der Streitjahre gesondert festzustellen.
Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Es war der Ansicht, dass nach eindeutigem Gesetzeswortlaut des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG die Altverluste erst nach der vom Kreditinstitut vorgenommenen Verrechnung der in den jeweiligen Streitjahren entstandenen Gewinne und Verluste aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen seien. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache an das FG zurück.
Gründe:
Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass für eine Verrechnung der Altverluste i.S.d. § 23 EStG a.F. gem. § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG nur der nach der Verrechnung durch die auszahlende Stelle verbleibende positive Saldo der Kapitalerträge i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG zur Verfügung steht.
Nach BFH-Rechtsprechung wird mit der Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010, die gem. § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG auf die Verluste aus Kapitalvermögen entsprechend anzuwenden ist, eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommensteuerbescheid erreicht, obwohl der Einkommensteuerbescheid kein Grundlagenbescheid ist. Daraus folgt, dass im Feststellungsverfahren des verbleibenden Verlustvortrags die Einkünfte nicht eigenständig zu ermitteln bzw. zu überprüfen sind. Dementsprechend muss der Steuerpflichtige seine Einwendungen gegen aus seiner Sicht unzutreffende Besteuerungsgrundlagen durch Einspruch bzw. Klage gegen den Einkommensteuerbescheid geltend machen. Wegen der inhaltlichen Bindungswirkung in Bezug auf die Verlustfeststellung ist der Steuerpflichtige durch einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid selbst dann beschwert, wenn es sich um einen sog. Nullbescheid handelt. § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 ist auf alle Verluste anzuwenden, für die - wie vorliegend für alle Streitjahre - nach dem 13.12.2010 eine Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags abgegeben wurde.
Infolgedessen ist der Kläger durch die Steuerfestsetzungen der Streitjahre beschwert. Er begehrte mit der Verrechnung der Altverluste i.S.d. § 23 EStG a.F. mit Gewinnen i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG im Ergebnis (soweit keine weitere Verrechnung mit laufenden Einkünften aus § 20 EStG in Betracht kam) den Ausweis höherer Verluste gem. § 20 Abs. 2 EStG in den Einkommensteuerbescheiden der Streitjahre. Diese Verluste wären gem. § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG i.V.m. § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 im Rahmen der gesonderten Verlustfeststellungen zu berücksichtigen.
Allerdings ist die Sache nicht spruchreif. Zwar spricht der Wortlaut des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG für die Auffassung des FG, dass nur die nach der Verrechnung i.S.d. § 43a Abs. 3 EStG "verbleibenden" Einkünfte aus Kapitalvermögen mit Altverlusten i.S.d. § 23 EStG a.F. verrechnet werden können. Wie der Senat jedoch bereits in seinem Urteil vom 29.8.2017 - VIII R 23/15 entschieden hat, ist die depotbezogene unterjährige Verlustverrechnung der auszahlenden Stelle i.S.d. § 43a Abs. 3 EStG vorrangig, aber nicht endgültig. Denn es muss gewährleistet sein, dass die in § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG angeordnete vorrangige und zeitlich befristete Verrechnung der Altverluste nicht durch das Steuerabzugsverfahren der Kapitalertragsteuer unterlaufen wird. Danach sind aufgrund des Antrags der Kläger auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG die Altverluste aus privaten Veräußerungsgeschäften gem. § 23 EStG a.F. im Veranlagungsverfahren vorrangig mit den von den Klägern im jeweiligen Streitjahr erzielten positiven Einkünften i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG zu verrechnen.
Den Klägern wird dadurch ermöglicht, die Altverluste, die gem. § 52a Abs. 11 Satz 11 EStG lediglich bis zum Veranlagungszeitraum 2013 vorgetragen werden können, vorrangig vor anderen Verlusten aus Kapitalvermögen steuerlich geltend zu machen. Diese Grundsätze hat das FG nicht beachtet, so dass seine Entscheidung auch aus diesem Grund keinen Bestand haben kann.
§ 20 Abs. 6 Satz 1 EStG steht der Verrechnung von Altverlusten i.S.d. § 23 EStG a.F. mit positiven Kapitaleinkünften i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG bei der (Antrags-)Veranlagung gem. § 32d Abs. 4 EStG nicht entgegen, da die depotbezogene unterjährige Verlustverrechnung der auszahlenden Stelle i.S.d. § 43a Abs. 3 EStG zwar zeitlich vorrangig, aber nicht endgültig ist.