Der Sachverhalt:
+++ V R 25/15 +++
In diesem Fall erwarb der Kläger, ein Autohändler, Kraftfahrzeuge von einem Einzelunternehmer, der "im Onlinehandel" tätig war, ohne dabei ein "Autohaus" zu betreiben. Er erteilte dem Kläger Rechnungen, in denen er als seine Anschrift einen Ort angab, an dem er postalisch erreichbar war.
+++ V R 28/16 +++
In diesem Verfahren bezog die Klägerin als Unternehmer in neun Einzellieferungen 200 Tonnen Stahlschrott von einer GmbH. In den Rechnungen war der Sitz der GmbH entsprechend der Handelsregistereintragung als Anschrift angegeben. Tatsächlich befanden sich dort die Räumlichkeiten einer Anwaltskanzlei. Die von der GmbH für die Korrespondenz genutzte Festnetz- und Faxnummer gehörten der Kanzlei, die als Domiziladresse für etwa 15 bis 20 Firmen diente. Ein Schreibtisch in der Kanzlei wurde gelegentlich von einem Mitarbeiter der GmbH genutzt.
Das Finanzamt ließ einen Vorsteuerabzug aus den vorgelegten Rechnungen in beiden Fällen nicht zu. Das FG gab den hiergegen gerichteten Klagen statt. Dagegen wendet sich das Finanzamt mit seinen Revisionen. Der BFH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG (MwStSystRL) vor. Der EuGH hat dahingehend geantwortet, dass Art. 168 Buchst. a und Art. 178 Buchst. a i.V.m. Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug davon abhängig macht, dass in der Rechnung die Anschrift angegeben ist, unter der der Rechnungsaussteller seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.
Die Revisionen hatten im Hinblick auf den begehrten Vorsteuerabzug der Rechnungen vor dem BFH Erfolg. Im Verfahren V R 25/15 wies der BFH die Revision zurück. Im Verfahren V R 28/16 hob er das Urteil des FG aus anderen Gründen auf und verwies die Sache dorthin zurück.
Die Gründe:
In beiden Fällen war der Vorsteuerabzug mit ordnungsgemäßen Rechnungen zu bejahen.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH wird das Merkmal "vollständige Anschrift" in § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 UStG nur durch die Angabe der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers erfüllt, unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet; die Angabe eines "Briefkastensitzes" mit nur postalischer Erreichbarkeit, an dem im Zeitpunkt der Rechnungstellung keinerlei geschäftliche Aktivitäten stattfinden, reichte danach als zutreffende Anschrift nicht aus.
Hieran hält der Senat nach dem hier auf Vorlage durch den BFH ergangen EuGH-Urteils "Geissel und Butin" (EuGH 15.11.2017, C 374/16 und C 375/16) nicht mehr fest. § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 UStG sind vielmehr richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht voraussetzt, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist. Vielmehr reicht jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist. Diese Voraussetzungen erfüllen die hier ausgestellten Rechnungen, weil die Aussteller unter der von ihr angegebenen Rechnungsanschrift Post erhalten haben.
Hintergrund:
Die Rechtsprechungsänderung ist für Unternehmer, die nach ihrer Geschäftstätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, von großer Bedeutung. Die Frage, ob bei der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs ordnungsgemäße Rechnungen vorliegen, ist bei ihnen regelmäßig Streitpunkt in Außenprüfungen. Die neuen Urteile des BFH erleichtern die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs.
Linkhinweis:
- Die Volltexte der Entscheidungen sind auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
- Um direkt zum Volltext der Entscheidung V R 25/15 zu kommen, klicken Sie bitte hier.
- Um direkt zum Volltext der Entscheidung V R 28/16 zu kommen, klicken Sie bitte hier.