Der Sachverhalt:
Die Kläger kauften Anfang 1968 von einer Bürgerin deren Wohngrundstück in der Innenstadt von Rostock-Warnemünde. Das Grundstück war seinerzeit mit einem Wohngebäude bebaut, das sich zur Straße hin mit einer abbruchreifen überdachten Veranda in Holzbauweise fortsetzte. Die Veranda stand auf einer Fläche von etwa 25 qm auf dem angrenzenden - seinerzeit volkseigenen - Grundstück, das heute der beklagten Stadt Rostock gehört.
Die Kläger meinen, sie seien berechtigt, die für den Anbau in Anspruch genommene Fläche nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz anzukaufen. Jedenfalls handele es sich bei dem Anbau um einen von der Stadt Rostock zu duldenden Überbau. Sie beantragen die Feststellung ihrer Ankaufsberechtigung nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz und die Feststellung, dass der Beklagten kein Anspruch auf Nutzungsentgelt in der beanspruchten Höhe zusteht.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Kläger hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Den Klägern steht zwar kein Ankaufsrecht nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz zu. Das Berufungsurteil war gleichwohl aufzuheben; das OLG wird im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen eines Überbaus nach § 912 BGB vorliegen.
Nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz haben Nutzer einen gesetzlichen Anspruch, von ihnen mit Billigung staatlicher Stellen baulich genutzte fremde Grundstücke zum halben Bodenwert anzukaufen, oder einen Anspruch auf Bestellung eines Erbbaurechts zur Hälfte des üblichen Erbbauzinses. Dafür reicht aber nicht schon die bauliche Nutzung an sich. Dem Nutzer muss vielmehr für die bauliche Nutzung zu Zeiten der DDR ein Nutzungsrecht verliehen oder zugewiesen worden sein; dem steht es gleich, wenn die Verleihung oder Zuweisung eines solchen Nutzungsrechts in der DDR zu erreichen gewesen wäre und wegen eines für die damalige Zeit typischen Vollzugsdefizits ausgeblieben ist. Daran fehlt es vorliegend.
Die Kläger haben ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück gekauft und bei dessen Umbau den Anbau über die Grenze gebaut. Solche Überbauungsfälle sind nicht die Folge eines für die DDR typischen Vollzugsdefizits, sondern die Folge von Fehlern bei der Planung und Ausführung von Bauten durch den Eigentümer. Sie kamen schon immer und kommen nach wie vor im gesamten Bundesgebiet vor. Sie sind seit dem Inkrafttreten des BGB am 1.1.1900 in § 912 BGB (Überbau) geregelt und hatten auch in der ehemaligen DDR eine ähnliche Ausgestaltung gefunden (§ 320 ZGB). Solche Fälle waren befriedigend geregelt und bedurften keiner Bereinigung.
An sich müsste derjenige, der sein Gebäude ohne Gestattung des Nachbarn über die Grenze baut, den Überbau beseitigen. Das würde aber zu einer Zerstörung wirtschaftlicher Werte führen, die nicht gerechtfertigt ist, wenn den Überbauenden keine grobe Fahrlässigkeit trifft. Deshalb bestimmt § 912 BGB, dass ein Überbau unter dieser Voraussetzung gegen Zahlung einer Geldrente hingenommen werden muss. Das gilt nicht nur, wenn die Grundstücksgrenze bei Errichtung eines Gebäudes überschritten wird, sondern auch, wenn dies bei einem späteren Um- oder Ausbau geschieht. Eine solche Rente ist in aller Regel deutlich geringer als eine Pacht oder eine Nutzungsentschädigung. Die Kläger akzeptieren eine Geldrente nach § 912 Abs. 2 BGB, wehren sich aber gegen die Zahlung einer höheren Nutzungsentschädigung.
Das OLG hat jedoch einen Überbau verneint. Der Anbau stehe vollständig auf dem städtischen Grund; es fehle folglich an einer Überschreitung der Grundstücksgrenze. Dem war nicht zu folgen: Die entsprechende Anwendung von § 912 BGB auf einen nachträglichen über die Grenze gebauten Anbau hängt nicht davon ab, in welchem Umfang der Anbau auf dem überbauten Grundstück steht, sondern von den mit dem Abbruch des Anbaus verbundenen Folgen für das auf dem Grundstück des Überbauenden stehende Gebäude. Das OLG hat nun zu klären, ob die Voraussetzungen eines Überbaus nach § 912 BGB vorliegen. Dafür muss aufgeklärt werden, welche Folgen ein Abbruch des Anbaus für das Haus der Kläger hätte und ob sie grob fahrlässig über die Grenze gebaut haben. Eine Rolle könnte auch die Frage spielen, ob die Stadt Rostock den Überbau in der Vergangenheit gestattet hat und ob diese Gestattung widerruflich war. Sollte sie die Errichtung solcher Anbauten widerruflich gestattet haben, wäre sie zu deren Duldung nur bis zu einem Widerruf verpflichtet.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
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