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Was ist unter "zwingende Gründe" bei der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b S. 5 ErbStG zu verstehen?

Hessisches FG 10.5.2016, 1 K 877/15

Das Tat­be­stands­merk­mal "zwin­gende Gründe" i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4b S. 5 ErbStG ist ge­setz­lich nicht de­fi­niert. Dass ge­sund­heit­li­che Ein­schränkun­gen hierzu zählen können, wird im Schrift­tum ver­schie­dent­lich an­er­kannt. Das FG Müns­ter (Az.: 3 K 1331/11 Erb) hat je­doch zu Recht dar­auf hin­ge­wie­sen, dass das "selbständige Führen ei­nes Haus­hal­tes in dem er­wor­be­nen Fa­mi­li­en­heim" nicht zwin­gend da­hin­ge­hend zu ver­ste­hen sei, dass dem Er­wer­ber das Führen des Haus­halts in dem kon­kre­ten (von ihm er­wor­be­nen) Fa­mi­li­en­heim unmöglich sein muss.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin ist die Al­lein­er­bin ih­res im Au­gust 2012 ver­stor­be­nen Ehe­man­nes. Sie hatte u.a. das ge­mein­same Fa­mi­li­en­heim ge­erbt, in dem die Ehe­leute ge­mein­sam und nach dem Tod des Erb­las­sers bis zu ih­rem Aus­zug im No­vem­ber 2013 die Kläge­rin al­leine wohnte. Das Grundstück wurde im Jahr 2014 veräußert.

In ih­rer Erb­schaft­steu­er­erklärung machte die Kläge­rin hin­sicht­lich des Fa­mi­li­en­heims eine Steu­er­be­frei­ung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG gel­tend. Zur Begründung trug sie vor, trotz ih­res Aus­zugs aus dem Fa­mi­li­en­heim sei die Steu­er­be­frei­ung zu gewähren, da ihr die wei­tere Selbst­nut­zung aus ob­jek­tiv zwin­gen­den Gründen nicht mehr möglich ge­we­sen sei. Ih­rem wei­te­ren Ver­bleib in dem Fa­mi­li­en­heim hätten ge­sund­heit­li­che Gründe ent­ge­gen­ge­stan­den, die auf die dra­ma­ti­schen Umstände des Ver­ster­bens ih­res Man­nes in dem Fa­mi­li­en­heim zurück­zuführen seien. Dies habe bei ihr eine schwere akute Be­las­tungsstörung aus­gelöst, de­ren Hei­lung ohne eine räum­li­che und endgültige Tren­nung von dem Fa­mi­li­en­heim nicht möglich ge­we­sen sei. Zum Nach­weis ver­wies die Kläge­rin auf eine fachärzt­li­che Be­schei­ni­gung.

Das Fi­nanz­amt setzte die Erb­schaft­steuer fest, ohne die Steu­er­be­frei­ung zu berück­sich­ti­gen. In den Erläute­run­gen zum Be­scheid hieß es: "Die Steu­er­be­frei­ung für das bis­her ge­nutzte Fa­mi­li­en­wohn­heim gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG kann lei­der nicht gewährt wer­den, da die für den Aus­zug der Er­bin ver­ant­wort­li­che psy­chi­sche Un­zu­mut­bar­keit des dor­ti­gen Woh­nen­blei­bens kei­nen ob­jek­tiv zwin­gen­den Grund nach dem Erb­schaft­steu­er­ge­setz dar­stellt."

Das FG wies die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage ab. Die Re­vi­sion wurde nicht zu­ge­las­sen.

Die Gründe:
Die Steu­er­frei­heit für Fa­mi­li­en­heime war nicht zu gewähren, da die Kläge­rin das im Jahr 2012 er­wor­bene Fa­mi­li­en­heim nicht mehr zu Wohn­zwe­cken selbst nutzt und nicht fest­ge­stellt wer­den konnte, dass die Kläge­rin aus zwin­gen­den Gründen an ei­ner Selbst­nut­zung zu ei­ge­nen Wohn­zwe­cken ge­hin­dert war.

Das Tat­be­stands­merk­mal "zwin­gende Gründe" i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4b S. 5 ErbStG ist ge­setz­lich nicht de­fi­niert. Dass ge­sund­heit­li­che Ein­schränkun­gen hierzu zählen können, wird im Schrift­tum ver­schie­dent­lich an­er­kannt. Das FG Müns­ter (Az.: 3 K 1331/11 Erb) hat je­doch zu Recht dar­auf hin­ge­wie­sen, dass das "selbständige Führen ei­nes Haus­hal­tes in dem er­wor­be­nen Fa­mi­li­en­heim" nicht zwin­gend da­hin­ge­hend zu ver­ste­hen sei, dass dem Er­wer­ber das Führen des Haus­halts in dem kon­kre­ten (von ihm er­wor­be­nen) Fa­mi­li­en­heim unmöglich sein muss, viel­mehr be­ziehe es sich auf das Führen ei­nes ei­ge­nen Haus­hal­tes schlecht­hin. Diese Aus­le­gung ent­spre­che auch den in dem Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren do­ku­men­tier­ten Aus­nah­megründen, nämlich Pfle­ge­bedürf­tig­keit und Tod. Das Ge­richt hat sich da­mit am Ge­set­zes­zweck ori­en­tiert und sich da­bei im Er­geb­nis der Auf­fas­sung des BFH an­ge­schlos­sen, dass eine ein­schränkende Aus­le­gung des § 13 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­ten sei (vgl. BFH-Urt. v. 18.7.2013, Az.: II R 35/11).

In­fol­ge­des­sen war der Se­nat zu der Über­zeug ge­langt, dass die von der Kläge­rin vor­ge­tra­ge­nen Gründe keine zwin­gen­den Gründe dar­stell­ten, die eine Selbst­nut­zung zu ei­ge­nen Wohn­zwe­cken ent­behr­lich mach­ten. Folgt man der An­sicht des FG Müns­ter schei­terte die Gewährung der Steu­er­be­frei­ung be­reits daran, dass die psy­chi­schen Pro­bleme der Kläge­rin eine ei­gene Haus­haltsführung nicht schlecht­hin aus­ge­schlos­sen ha­ben, son­dern nur in dem kon­kre­ten, im Nach­lass be­find­li­chen Fa­mi­li­en­heim. Für diese Auf­fas­sung sprächen nicht nur die in der Ge­set­zes­begründung ge­nann­ten Bei­spiele, son­dern auch die dar­aus fol­gende "Ob­jek­ti­vier­bar­keit" der Gründe, die eine Haus­haltsführung aus­schließen. Im Er­geb­nis konnte dies je­doch of­fen blei­ben. Denn auch für den Fall, dass die zwin­gen­den ob­jek­ti­ven Gründe ob­jekt­be­zo­gen zu prüfen wären, war die Klage ab­zu­wei­sen. Denn der Se­nat ver­mochte nicht fest­zu­stel­len, dass der Kläge­rin das selbständige Führen ih­res Haus­hal­tes in dem Fa­mi­li­en­heim auf­grund ih­rer psy­chi­schen Pro­bleme unmöglich war.

Die Ent­schei­dung der Kläge­rin, auf­grund ih­rer dra­ma­ti­schen und - wohl auch trau­ma­ti­schen - Er­leb­nisse ihr Fa­mi­li­en­heim auf­zu­ge­ben und wo­an­ders "neu" an­zu­fan­gen zeigte schließlich, dass sie die dem § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG zu­grunde lie­gende "ge­genständ­li­che räum­li­che" Bin­dung an den früheren ge­mein­sa­men fa­miliären Le­bens­raum auf­ge­ge­ben hatte. Un­ter Berück­sich­ti­gung des Sinns und Zwecks der Vor­schrift - nämlich durch eine Steu­er­be­frei­ung dem Er­wer­ber zu ermögli­chen, sein Fa­mi­li­en­heim bei­zu­be­hal­ten - be­durfte die Kläge­rin in­so­fern nicht der gel­tend ge­mach­ten Steu­er­begüns­ti­gung.

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