Der Sachverhalt:
Der verheiratete Kläger mit deutscher Staatsangehörigkeit ist zu 50 % an einer Kapitalgesellschaft in der Schweiz beteiligt und deren Geschäftsführer. Im Streitjahr 2011 mietete er eine Wohnung in der Schweiz an. Seine Ehefrau wohnte weiterhin in Deutschland. Der Kläger beantragte die Einzelveranlagung und erklärte in seiner Einkommensteuererklärung, als Grenzgänger nicht im Inland der Besteuerung zu unterliegen.
Das Finanzamt gelangte zu dem Ergebnis, der Kläger habe infolge seines Wegzugs in die Schweiz einen Veräußerungsgewinn zu versteuern (sog. Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG i.V.m. § 17 EStG). Das Finanzamt setzte Einkommensteuer fest. Hiergegen wendet sich der Kläger. Die Besteuerung und sofortige Erhebung der Steuer verstoße gegen das sog. Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz (FZA). Während des Rechtsbehelfsverfahrens änderte das Finanzamt die Steuerhöhe zugunsten des Klägers. Dieser bezahlte die Einkommensteuer "vorläufig".
Das FG setzte das Verfahren zunächst aus und richtete ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. Nach dessen Entscheidung gab das FG der Klage nunmehr statt und setzte die Einkommensteuer mit 0 € fest. Die beim BFH anhängige Revision des Finanzamts wird dort unter dem Az. I R 35/20 geführt.
Die Gründe:
Das Finanzamt hat zu Unrecht die Wegzugsbesteuerung ohne Aufschub der Zahlung der geschuldeten Steuer vorgenommen. Eine Wegzugsbesteuerung ohne Zahlungsaufschub der geschuldeten Einkommensteuer verletzt das Recht des Klägers auf Gleichbehandlung sowie sein Niederlassungsrecht nach dem FZA. Der Tenor des für den Senat unmittelbar verbindlichen Urteils des EuGH ist im Lichte der Entscheidungsgründe auszulegen. Das FZA ist Bestandteil der Gemeinschaftsordnung und anwendbar. Im Falle einer abkommenswidrigen innerstaatlichen Rechtsvorschrift bewirkt es deren Nichtanwendbarkeit.
Der Anwendungsbereich des FZA ist eröffnet. Der Kläger ist Selbständiger i.S.d. FZA und kann sich auf den Grundsatz der Gleichbehandlung berufen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung ist vorliegend verletzt. Der Kläger hat sein Recht auf Niederlassung in der Schweiz ausgeübt und erleidet infolge des Wegzugs einen steuerlichen Nachteil. Er muss Einkommensteuer auf den Wertzuwachs seiner Beteiligung bereits bei Wegzug zahlen. Dies führt zu einem Liquiditätsnachteil. Ein solcher ist geeignet, einen Steuerpflichtigen davon abzuhalten, von seinem Niederlassungsrecht gem. FZA tatsächlich Gebrauch zu machen.
Die Ungleichbehandlung ist auch nicht gerechtfertigt. Im Streitfall ist zwar die Bestimmung der Steuer im Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes in die Schweiz eine geeignete Maßnahme, um die Erreichung des Ziels in Bezug auf die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen der Schweiz und Deutschland sicherzustellen. Dieses Ziel ist jedoch keine Rechtfertigung dafür, dass ein Aufschub der Zahlung der geschuldeten Steuer unmöglich ist. Eine Stundung stellt keinen Verzicht auf die Befugnis der Besteuerung der Wertzuwächse dar. Ein fehlender Zahlungsaufschub geht auch über das hinaus, was zur Erreichung einer wirksamen steuerlichen Kontrolle nötig ist. Das Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz sieht einen Austausch von Steuerinformationen zwischen den Vertragsstaaten vor. Deutschland kann die notwendigen Informationen über die Veräußerung der Gesellschaftsanteile erhalten. Außerdem besteht die Möglichkeit einer Sicherheitsleistung, da es mit der Schweiz keine Mechanismen der gegenseitigen Unterstützung bei der Beitreibung von Steuerforderungen gibt.
Im Streitfall ist nicht erst das Leistungsgebot im Einkommensteuerbescheid für 2011 rechtswidrig, sondern bereits die Steuerfestsetzung. Der EuGH beurteilt das Steuersystem. Ein solches ist ein Gebilde, das aus mehreren Komponenten besteht. § 6 AStG enthält Komponenten der Festsetzung und der Erhebung. Danach besteht die Möglichkeit, von der sofortigen Erhebung der Steuer im Falle erheblicher Härten und bei einem Wegzug in das EU-/EWR-Ausland abzusehen, jedoch nicht bei einem Wegzug in die Schweiz. Insoweit gilt § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG, wonach die fällige Einkommensteuer sofort zu zahlen ist. Eine zinslose Stundung von Amts wegen sieht weder das AStG noch das EStG oder ein anderes Gesetz vor. Infolgedessen wird das nationale Recht den Bestimmungen des FZA nicht gerecht.
Zieht ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer Schweizer Kapitalgesellschaft von Deutschland in die Schweiz, unterliegen seine Wertzuwächse aus der Beteiligung nicht bereits bei Wegzug der inländischen Einkommensteuer.