Herr Dr. Braml, auf dem Karlsruher Mittelstandsforum sprachen Sie von dem geoökonomischen Wettbewerb zwischen den USA und China. Wie ist die Haltung in den USA zu diesem Konflikt und womit haben wir zu rechnen?
Geoökonomische Instrumente sind zunehmend wichtig in internationalen Konflikten. Washington und Peking nutzen ihre Marktstärke strategisch. Die USA setzen wirtschaftliche Mittel ein, um Chinas Fortschritte zu bremsen oder rückgängig zu machen. Wirtschaft dient somit nicht mehr nur als Ziel, sondern als Werkzeug geostrategischer Zwecke, was den Wirtschaftskampf zum Teil der staatlichen Rivalität macht.
Hat der Ausgang der Wahlen in den USA einen Einfluss darauf, wie dieser geoökonomische Konflikt mit China ausgetragen wird?
Unabhängig vom Wahlausgang wird die neue US-Regierung den geoökonomischen Wettbewerb mit China verschärfen, was Europa stark beeinflusst. Diese Spannungen könnten eine zweigeteilte, deglobalisierte Welt schaffen und europäische Unternehmen herausfordern. Die EU muss fähig werden, ihre Sicherheit und ihren Wohlstand zu schützen.
Sie führten aus, dass der in Europa weitgehend unbeachtet gebliebene Chips-Act von Joe Biden eine wirtschaftliche Kriegserklärung an China war. Können Sie die aktuelle Lage kurz skizzieren?
Nur wenige westliche Medien haben darauf hingewiesen, dass sich ein umfassender Wirtschaftskonflikt zwischen den USA und China abzeichnet. Mit der Unterzeichnung des CHIPS Act am 09.08.2022 hat US-Präsident Joe Biden Maßnahmen ergriffen, um Chinas wirtschaftlichen Fortschritt einzuschränken, indem der Export fortschrittlicher Halbleitertechnologien nach China beschränkt wird. Die chinesische Führung ist sich der Notwendigkeit bewusst, die neueste Chip-Technologie zu erwerben, um in der wirtschaftlichen Wertschöpfungskette weiter aufzusteigen und hochmoderne technische Güter und Dienstleistungen zu produzieren.
Der Technologiewettbewerb bildet das Kernstück des chinesisch-amerikanischen Konflikts; insb. hochentwickelte Chiptechnologien gelten als entscheidend für die zukünftige wirtschaftliche und militärische Überlegenheit. Neue und aufkommende Technologien, wie Künstliche Intelligenz (KI), Robotik, Big Data, Biotechnologie, 3D-Druck und das Internet der Dinge (IoT), werden als wesentliche Treiber des Wirtschaftswachstums und der militärischen Stärke betrachtet und erfordern alle hochentwickelte Halbleiter.
Ist in Deutschland und in Europa die Tragweite dieses Konflikts bekannt - bzw. verschließen wir hiervor lieber die Augen?
Die Vereinigten Staaten verfolgen nun eine Politik, die darauf abzielt, Chinas wirtschaftliches Wachstum zu bremsen, und ermutigen ihre Verbündeten, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen. Unabhängig vom Ausgang der amerikanischen Wahlen wird der Druck auf die Partner der USA zunehmen, um Chinas Fortschritt in Schlüsseltechnologien einzuschränken. Statt auf Kooperation setzt die USA auf eine Strategie der wirtschaftlichen Entkoppelung, um das technologische und militärische Wachstum Chinas zu verlangsamen.
Die wachsenden Spannungen zwischen den USA und China könnten internationale Organisationen wie die WTO spalten und Länder wie Deutschland beeinträchtigen, die sowohl enge Sicherheitsbeziehungen zu den USA als auch wirtschaftliche Verbindungen zu beiden Supermächten haben. Besonders im Technologiebereich, z. B. bei 5G und Huawei, steigen die Kosten dieser Doppelstrategie. Der technopolitische Machtkampf könnte die USA dazu veranlassen, Verbündete zu zwingen, sich für einen Handelspartner zu entscheiden, was zu einer Welt mit amerikanischen und chinesischen Standards führen könnte.
Die zukünftige US-Administration wird voraussichtlich weiterhin Daten-, Handels-, Energie- und Finanzströme manipulieren, oft durch (Sekundär-)Sanktionen. Freie Märkte geraten in den Hintergrund und werden nur akzeptiert, wenn sie der geostrategischen Dominanz der USA dienen. Dies bedeutet eine Abkehr vom freien Markt und der Win-Win-Philosophie hin zu einem merkantilistischen Nullsummendenken: Ein Gewinn für einen ist ein Verlust für andere.
Sie sprachen auf dem Karlsruher Mittelstandsforum von drei möglichen weltpolitischen Szenarien. Können Sie diese für unsere Leser kurz erläutern?
In unserem Buch „Die Traumwandler“ erinnern mein Ko-Autor Mat Burrows und ich daran, dass die Zukunft offen ist. Wir stellen drei Szenarien vor: ein schlechtes (neuer Kalter Krieg mit Wohlstandsverlusten), ein hässliches (Dritter Weltkrieg) und ein erträgliches (reformierte Globalisierung 2.0 mit globaler Kooperation).
Wer in politischen Szenarien denkt, kann die entscheidenden Stellschrauben zur Vermeidung von Katastrophen besser identifizieren. Ein Abgleiten in Konfrontation und militärische Konflikte können wir uns nicht leisten – weder angesichts der globalen Armut noch der Herausforderungen des Klimawandels.
Wie kann und muss man den Taiwan-Konflikt in die weltpolitische Gesamtsituation einordnen und welche Auswirkungen hat das – mit Blick auf den Ukraine-Krieg - auf Europa?
Aufgrund seiner fortschrittlichen Technologien in der Halbleiterfertigung sowie seiner geografischen Lage befindet sich Taiwan im Brennpunkt des Wettbewerbs zwischen China und den USA. Im Gegensatz zu Wirtschaftssanktionen stellt Taiwan ein Thema dar, bei dem Peking keine Zugeständnisse machen möchte.
In den USA herrscht die Meinung vor, dass China aufgrund seiner eigenen Wirtschaftskrise einen Konflikt vermeiden wird. Dabei wird jedoch oft übersehen, dass Chinas Führung unter Xi Jinping durch nationalistische Rhetorik von inneren Problemen ablenken könnte. Einige Mitglieder der chinesischen Elite sind sogar der Ansicht, dass eine Krise ähnlich der Kubakrise dazu führen könnte, dass die USA Chinas Interessen ernsthafter berücksichtigen.
Im aktuellen Wahlkampf strebt die Biden/Harris-Regierung danach, einen Konflikt mit China zu vermeiden. Sie ist bereits stark durch den anhaltenden Krieg in der Ukraine und zunehmende Verpflichtungen im Mittleren Osten beansprucht. Dennoch kann keine US-Regierung angesichts der Bedeutung Asiens für die Zukunft der USA und dem zunehmend anti-chinesischen politischen Klima umhin, die Unabhängigkeit Taiwans zu unterstützen. Die Republikaner kritisieren die Biden/Harris-Regierung bereits dafür, gegenüber China eine zu nachgiebige Haltung einzunehmen, obwohl diese Trumps wirtschaftliche Beschränkungen gegen China ausgeweitet hat und Präsident Biden mehrmals betont hat, dass die USA Taiwan verteidigen würden.
Taiwan stellt für China eine noch größere Herausforderung dar als für die USA. China ist sich der Risiken einer Invasion bewusst und will diese laut Xi Jinping vermeiden. Ein solcher Angriff käme nur in Betracht, wenn alle anderen Maßnahmen, wie Cyberangriffe, Zölle, Sanktionen oder sogar eine Seeblockade, keinen Erfolg zeigen sollten.
Im aktuellen sino-amerikanischen Kräftemessen bleibt Europa bislang Zuschauer. Im schlimmsten Fall könnte es jedoch zum Verlierer werden, sofern es nicht schnell handlungsfähig wird und seine Interessen entschlossen vertritt.
Die Europäische Union und Deutschland als Exportnation mit wichtigen Handelsbeziehungen sowohl in die USA als auch nach China kommen also massiv zwischen die Fronten. Wie sollten sich die EU und Deutschland positionieren?
In der aktuellen Weltordnung bietet nur ein vereintes Europa genug Marktmacht und Handlungsspielraum, um seine Eigenständigkeit zu wahren. Begriffe wie „strategische Unabhängigkeit“ verdecken jedoch die mangelnde Entscheidungsfähigkeit der EU. Die EU ist besonders anfällig für die Strategien von Großmächten wie China und den USA. Um politisch widerstandsfähiger zu werden und handlungsfähiger zu agieren, sollte die EU in der Außen- und Sicherheitspolitik auf qualifizierte Mehrheitsentscheidungen setzen statt auf Einstimmigkeit. Angesichts Chinas Aufstieg und der verstärkten US-Orientierung nach Asien sollte Europa auch auf Selbstverteidigung hinarbeiten.
Wie werden sich die Vereinigten Staaten von Amerika Russland gegenüber positionieren?
Egal wie die US-Wahlen ausgehen, Europa muss mehr in seine Verteidigung gegen Russland und den Wiederaufbau der Ukraine investieren. Unter Trump wäre die NATO weniger verlässlich, was höhere Ausgaben für Europas Sicherheit nötig macht.
Es geht nicht darum, die „zwei Prozent“ des BIP für amerikanische Waffen auszugeben. Stattdessen sollten die Europäer unabhängige militärische Fähigkeiten entwickeln – sowohl konventionelle als auch nukleare. So können sie Erpressungsversuchen durch eine mögliche zweite Trump-Regierung oder Russland entgegenwirken.
Ist die EU derzeit stark genug, diese Rolle wahrzunehmen?
Dafür wären umfangreiche Investitionen nötig. In einer Zeit knapper Haushalte könnte jedoch jede Umschichtung von Sozialausgaben zu Verteidigung oder Ukrainehilfe jene extremistischen Parteien stärken, die ihren Fokus auf andere politische Prioritäten setzen.
Durch gemeinsame Schulden könnte Europa gestärkt und der Wiederaufbau der Ukraine finanziert werden, was den Konflikt zwischen Sozial- und Verteidigungsausgaben abmildern würde. Statt ihre Währungsreserven und Ersparnisse zur Unterstützung der US-Wirtschaft und -Militärausgaben zu nutzen, könnten europäische Länder und Investoren diese in die Stärkung des Euro sowie Europas sicherheitspolitische Fähigkeiten, digitale Infrastruktur und Zukunftstechnologien investieren, um besser für den geoökonomischen Wettbewerb vorbereitet zu sein.
Während China die geoökonomischen Implikationen der Währungspolitik erkannt hat und Schritte unternimmt, um den Dollar langfristig als Weltleitwährung abzulösen, sind in Europa wenig vergleichbare Bemühungen sichtbar, den Euro zu einer globalen Leitwährung weiterzuentwickeln. Zwar nimmt weltweit der Anteil des Euro an den Währungsreserven zu, aber es gibt bislang keine weitreichenden Initiativen, den Euro zu einem geoökonomischen Machtmittel auszubauen.
Würde sich nicht der Ausbau des Euro zu einem geoökonomischen Machtmittel auch als Risikodiversifizierung für Anleger anbieten?
Ein liquider Markt für sichere EU-Anleihen könnte internationalen Anlegern eine Möglichkeit zur Risikodiversifizierung bieten, insb. angesichts der hohen US-Staatsverschuldung und steigender Zinsen. Bei einem prognostizierten Staatsdefizit von 35 Billionen US-Dollar und einem unhaltbaren finanzpolitischen Kurs riskieren Investoren, die in US-Staatsanleihen investieren, viel.
Die USA müssen weiterhin über ihre Mittel hinaus wirtschaften und konsumieren, während soziale Sicherungssysteme durch demografische Veränderungen unter Druck geraten und massive Rüstungsausgaben gegen China anfallen. Es ist zweifelhaft, ob die USA ihre Schulden je zurückzahlen können, ohne auf exorbitantes Wirtschaftswachstum oder hohe Inflation zu setzen.
Falls internationale Investoren das Vertrauen in die Stabilität des Dollars verlieren und ihre Erlöse anderweitig reinvestieren, könnten Dollar und US-Wirtschaft erheblich unter Druck geraten.
Welche Maßnahmen müsste Ihrer Auffassung nach die deutsche Bundesregierung dringend ergreifen?
Deutschland wird oft dazu aufgefordert, eine Führungsrolle in Europa zu übernehmen. Doch die aktuelle Regierung in Berlin ist derzeit stark mit internen Angelegenheiten beschäftigt, so dass sie momentan nicht in der Lage ist, diese Verantwortung umfassend wahrzunehmen.
So - und jetzt zu den mittelständischen Unternehmen, die konkret mit der zunehmenden Polarisierung umgehen müssen und von der Politik weitgehend allein gelassen werden. Was raten Sie dem international agierenden Mittelstand? Wie sollte sich die deutsche Wirtschaft in dieser Gemengelage positionieren?
Deutsche Unternehmen mit internationaler Ausrichtung sind zunehmend von den geoökonomischen Strategien der Supermächte USA und China betroffen. Deutschland gehört zu den am stärksten global vernetzten Volkswirtschaften der Welt und ist daher besonders anfällig für die Auswirkungen einer möglichen De-Globalisierung. Während deutsche Firmen bisher von den Vorteilen der Globalisierung profitiert haben, könnten sie angesichts eines sino-amerikanischen Machtkampfes und daraus resultierender protektionistischer Maßnahmen auch Verluste erleiden.
Es ist notwendig, dass deutsche Unternehmen sich auf eine mögliche Deglobalisierung vorbereiten und ihre Lieferketten weniger abhängig von China gestalten, um ihre Widerstandsfähigkeit zu erhöhen. Unternehmen in den Vereinigten Staaten und Europa stehen vor der Herausforderung, ihre „Effizienz“ zugunsten einer höheren „Resilienz“ neu zu bewerten. Konzepte wie „Nearshoring“, „Reshoring“ oder „Friend Shoring“ gewinnen an Bedeutung, da diese Ansätze darauf abzielen, Produktionsketten aus China zurückzuverlagern.
Insb. der Technologiesektor steht unter dem Druck der Regierungen der USA und anderer Länder, diesen Weg konsequent zu verfolgen. Washington möchte sicherstellen, dass die Lieferketten strategisch wichtiger Industrien weniger abhängig von der chinesischen Produktion sind.
Selbst die Regionalisierungsstrategien einiger deutscher Unternehmen, die lokale Lieferketten nutzen und Produkte ausschließlich für den asiatischen Markt fertigen, könnten ins Stocken geraten, falls der Wettbewerb zwischen China und den USA eskaliert und die USA ihre wirtschaftliche Stärke durch (Sekundär-)Sanktionen geltend machen.
Lieber Herr Dr. Braml, ganz herzlichen Dank für das sehr ernste, aber wichtige Gespräch.
Hinweis: Zuletzt erschienen beim Verlag C.H.Beck sein mit Mathew Burrows verfasstes Buch „Die Traumwandler. Wie China und die USA in einen neuen Weltkrieg schlittern“ und sein weiterhin aktueller Bestseller „Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“.