Hintergrund:
Nach dem Unionsrecht soll die Ausübung ausschließlicher Rechte, die mit einem Recht des geistigen Eigentums, wie etwa einem Patent, verbunden sind, gewährleistet werden, zugleich aber auch der freie Wettbewerb erhalten bleiben. Zum Verhältnis dieser beiden Ziele hat der EuGH bereits ausgeführt, dass die Ausübung solcher ausschließlichen Rechte (wie des Rechts, eine Patentverletzungsklage zu erheben) zu den Vorrechten des Inhabers gehört, so dass sie als solche keinen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellen kann, selbst wenn sie von einem Unternehmen in beherrschender Stellung ausgeht. Nur unter außergewöhnlichen Umständen kann die Ausübung des ausschließlichen Rechts ein missbräuchliches Verhalten darstellen.
Huawei Technologies ist ein weltweit auf dem Telekommunikationssektor tätiges Unternehmen und Inhaber eines europäischen Patents, das das Unternehmen beim European Telecommunication Standards Institute (ETSI) als für den "Long Term Evolution"-Standard essenzielles Patent angemeldet hatte. Dabei verpflichtete sich Huawei, Dritten Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu erteilen.
"Standardessenzielle Patente" (SEP) sind Patente, deren Benutzung für jeden Wettbewerber unerlässlich ist, der Produkte herzustellen beabsichtigt, die dem Standard, mit dem es verbunden ist, entsprechen (wobei der Standard von einer Standardisierungsorganisation normiert ist). Zum anderen erlangt das Patent den Status eines SEP nur, weil sich sein Inhaber gegenüber der betreffenden Standardisierungsorganisation unwiderruflich verpflichtet, Dritten zu FRAND-Bedingungen (Fair, Reasonable and Non-Discriminatory), d.h. zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen, Lizenzen zu erteilen. Also so wie im vorliegenden Fall.
Dennoch erhob Huawei eine Patentverletzungsklage gegen zwei Gesellschaften der internationalen ZTE-Gruppe. Diese Gruppe vertreibt in Deutschland Produkte, die nach dem Long Term Evolution-Standard arbeiten, und benutzt somit das Patent von Huawei, zahlt jedoch an dieses Unternehmen keine Lizenzgebühren. Mit ihrer Klage machte Huawei Unterlassung, Rückruf, Rechnungslegung und Schadensersatz geltend. Zuvor hatten Huawei und ZTE Gespräche über die Patentverletzung und die Möglichkeit einer Lizenzerteilung zu FRAND-Bedingungen geführt, waren jedoch nicht zu einer Einigung gelangt.
Das LG setzte daraufhin das Verfahren aus und bat den EuGH darum, die Bedingungen zu präzisieren, unter denen ein Unternehmen in marktbeherrschender Stellung wie Huawei diese Stellung dadurch missbraucht, dass es eine Patentverletzungsklage erhebt. Der EuGH unterschied in seinem Urteil zwischen Klagen auf Unterlassung oder Rückruf und Klagen auf Rechnungslegung und Schadensersatz.
Die Gründe:
Beim ersten Typ von Klagen ist davon auszugehen, dass der Inhaber eines für einen von einer Standardisierungsorganisation normierten Standard essenziellen Patents, der sich gegenüber dieser Organisation unwiderruflich verpflichtet hat, jedem Dritten Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, seine marktbeherrschende Stellung nicht dadurch missbraucht, dass er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung diese Patent benutzt wurde, erhebt, wenn
- er zum einen den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, hingewiesen hat und dabei das fragliche Patent bezeichnet und angegeben hat, auf welche Weise es verletzt worden sein soll, und zum anderen dem Patentverletzer, nachdem dieser seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat und
- dieser Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt, gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben reagiert hat, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und u.a. impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird.
Der angebliche Patentverletzer, der das Angebot des SEP-Inhabers nicht angenommen hat, kann sich auf den missbräuchlichen Charakter einer Unterlassungs- oder Rückrufklage nur berufen, wenn er dem Inhaber des SEP innerhalb einer kurzen Frist schriftlich eine konkretes Gegenangebot macht, das den FRAND-Bedingungen entspricht.
Beim zweiten Typ von Klagen ist davon auszugehen, dass das Verbot, eine marktbeherrschende Stellung zu missbrauchen, ein Unternehmen in beherrschender Stellung, das Inhaber eines für einen von einer Standardisierungsorganisation normierten Standard essenziellen Patents ist und sich gegenüber der Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, Dritten zu FRAND-Bedingungen Lizenzen für dieses Patent zu erteilen, unter Umständen wie den vorliegenden nicht hindert, gegen den angeblichen Verletzer seines Patents eine Verletzungsklage auf Rechnungslegung bezüglich der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das Patent oder auf Schadensersatz wegen dieser Handlungen zu erheben. Diese Klagen haben nämlich keine unmittelbaren Auswirkungen darauf, ob dem Standard entsprechende, von Wettbewerbern hergestellte Produkte auf den Markt gelangen oder auf dem Markt bleiben.
Linkhinweis:
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