Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Schriftsteller, die Beklagte ist ein Presseunternehmen und betreibt ein Onlinemedium. Der Kläger hielt im Frühjahr 2018 im Rahmen einer Gastdozententätigkeit eine frei zugängliche Vorlesung. Die Beklagte berichtete am Folgetag ausführlich über diesen Vortrag. Dabei gab sie in mehreren Textblöcken wörtliche Zitate aus der Rede wieder, in denen auch persönliche Erlebnisse des Klägers geschildert worden waren. Der Kläger begehrt nun im Eilverfahren, der Beklagten die Vervielfältigung und Verbreitung konkreter Textpassagen mit seinen Zitaten zu untersagen.
Das LG gab dem Antrag statt. Auf die Berufung der Beklagten hob das OLG die einstweilige Verfügung auf. Das Urteil ist nicht anfechtbar.
Die Gründe:
Die Berichterstattung ist rechtmäßig. Die wiedergegebenen Textpassagen sind zwar als Sprachwerke urheberrechtlich geschützt. Die Veröffentlichung ist jedoch über das sog. urheberrechtliche Zitatrecht (§ 51 UrhG) gerechtfertigt.
Der Kläger hat selbst das Sprachwerk in freier Rede der Öffentlichkeit in Gestalt der Zuhörer seiner Vorlesung zugänglich gemacht. Ein Zitat in Schriftform - wie hier - setzt nicht voraus, dass die Erstveröffentlichung ebenfalls in Schriftform erfolgte. Die Beklagte hat die Zitate auch im Rahmen eines Artikels verwendet, der seinerseits ein eigentümliches und originelles Sprachwerk darstellt. Schließlich ist die Wiedergabe der Textteile durch den zulässigen Zitatzweck gedeckt. Die Zitatfreiheit soll die geistige Auseinandersetzung mit fremden Werken erleichtern, sie gestattet es nicht, ein fremdes Werk nur um seiner selbst willen zur Kenntnis der Allgemeinheit zu bringen. Der Zitierenden muss eine innere Verbindung zwischen dem fremden Werk und den eigenen Gedanken herstell(en) und das Zitat als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbständige Ausführungen des Zitierenden erschein(en) lassen.
Dies ist hier der Fall. Der Artikel gibt nicht lediglich den Kern des Vortrags wieder. Er beschreibt vielmehr in eigener Art und Weise, wie der Kläger private Umstände im Rahmen seines Vortrags offenbarte und welche Reaktionen und Fragen er damit beim Publikum und der Autorin des Artikels auslöste. Die Wiedergabe der Textstellen dient damit nicht lediglich der Illustration der Berichterstattung, sondern beschreibt und erläutert sie und ermöglicht es dem Leser, die Einordnungen der Autorin selbst nachvollziehbar zu machen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Der Umfang der hier verwendeten Zitate ist ebenfalls noch vom Zitatrecht gedeckt. Zulässig ist das Zitieren in einem insgesamt vernünftigen und sachgerechten Umfang unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände. Dieser Rahmen wird hier eingehalten. Der Artikel stellt den Versuch dar, sich dem Kläger anzunähern, ihn und sein Leben, insbesondere sein literarisches Schaffen, gerade im Hinblick auf die in der Vorlesung wiedergegebenen Geschehnisse zu verstehen und zu überdenken.
Die Zitate sind hier in die Darstellungen und Erläuterungen der Autorin auf verschiedenen Ebenen einbezogen und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet worden. Der Artikel reiht die Zitate gerade nicht lediglich aneinander, sondern folgt einer eigenen Dramaturgie. Insgesamt liegen damit die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Zitierung nach § 51 UrhG vor, die nach dem Gesetz auch nicht anderen Anforderungen unterliegt, wenn der Urheber sich - wie hier - entschlossen hat, ein seine Intimsphäre berührendes Sprachwerk zu veröffentlichen.
Hält ein Autor eine frei zugängliche Vorlesung, können auch umfangreiche Zitate aus dieser Rede innerhalb einer sich mit dieser Vorlesung auseinandersetzenden Berichterstattung zulässig sein. Die Voraussetzungen für die Rechtfertigung von Zitaten (§ 51 UrhG) sind über die gesetzlichen Anforderungen hinaus nicht davon abhängig, ob das in öffentlicher Rede gehaltene Sprachwerk vor der Zitierung schriftlich erschienen ist. Dies gilt auch, wenn das Sprachwerk die Intimsphäre des Urhebers betrifft.