Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine 2010 als gemeinnützige GmbH errichtete eingetragene Kapitalgesellschaft. Ihr Gesellschaftszweck ist die Förderung des Gesundheitswesens, insbesondere die Unterstützung von Krankenhäusern und Kliniken (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 AO). Die Geschäftsanteile werden von vier familiär verbundenen Gesellschaftern gehalten. In den Streitjahren 2010 und 2011 waren vier Gesellschafter auch mit 98 % an der A-KG beteiligt. Die A-KG wies zum 31.12.2010 keinerlei Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten auf, jedoch Verbindlichkeiten gegenüber ihren Gesellschaftern.
In den Streitjahren hatte die Klägerin mit der A-KG Darlehensverträge abgeschlossen, in denen sie sich verpflichtete, dieser jeweils 3 Mio. € für die Dauer von zehn Jahren zu gewähren. Der maßgebliche Zinssatz richtete sich nach dem Festgeldsatz auf der Basis des 1-Jahres-Euribor zuzüglich einer Marge von 0,6 %. Sicherheiten wurden nicht vereinbart, das Darlehensverhältnis konnte aber aus wichtigem Grund gekündigt werden.
Nachdem das Finanzamt der Klägerin im Dezember 2010 für Spendenzwecke eine "vorläufige Bescheinigung" erteilt hatte, wonach sie aufgrund der eingereichten Satzung ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten gemeinnützigen Zwecken diene, spendeten die vier Gesellschafter insgesamt 3 Mio. €. Aufgrund der Spenden und der bereits zuvor vereinbarten Darlehensgewährung der Klägerin an die A-KG minderten sich die Gesellschafterdarlehen in entsprechender Höhe. Im Folgejahr überwiesen die Gesellschafter erneut insgesamt 3 Mio. €. Auch hierfür erteilte ihnen die Klägerin jeweils Spendenquittungen.
Nachdem das Finanzamt der Klägerin mitgeteilt hatte, dass die Voraussetzungen des § 55 AO (Selbstlosigkeit) nicht erfüllt seien, weil die Klägerin mit der Vergabe zinsgünstiger und ungesicherter Darlehen an eine den Gesellschaftern nahestehende Personengesellschaft (A-KG) vorrangig zur Förderung eigenwirtschaftlicher Interessen der Gesellschafter tätig geworden sei, widerrief es die "vorläufige Bescheinigung".
Die hiergegen gerichtete Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg.
Gründe:
Die tatsächliche Geschäftsführung der Klägerin war in den Streitjahren nicht selbstlos, sondern diente vorrangig eigenwirtschaftlichen Zwecken der Klägerin und ihrer Gesellschafter.
Die Förderung steuerbegünstigter Zwecke geschieht selbstlos, wenn dadurch nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke - zum Beispiel gewerbliche Zwecke oder sonstige Erwerbszwecke - verfolgt werden ("Selbstlosigkeit im engeren Sinne") und darüber hinaus die gesetzlichen Vorgaben für die Mittel - und Vermögensverwendung eingehalten werden. § 55 AO unterscheidet somit zwischen einem Verbot der primären Verfolgung eigenwirtschaftlicher Zwecke nach § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AO und weiteren Vorgaben für die Mittel und Vermögensverwendung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 1 bis 5 AO. Selbst einer objektiv im gemeinnützigen Sinn tätigen Körperschaft kann nach diesen Maßstäben im Einzelfall die Steuerbefreiung versagt werden, wenn die Mitglieder, der Stifter oder die Gesellschafter in erster Linie eigenwirtschaftliche Interessen verfolgen. "Eigenwirtschaftliche Zwecke" werden nicht nur verfolgt, wenn es um die wirtschaftlichen Interessen und Vorteile der Körperschaft selbst geht; eine Körperschaft handelt auch dann nicht selbstlos, wenn sie in erster Linie unmittelbar oder mittelbar die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder oder die Interessen der den Mitgliedern nahestehenden Personen wahrnimmt.
Eine Körperschaft verfolgt "in erster Linie" eigenwirtschaftliche Zwecke, wenn sie vorrangig und somit nicht nur nebenbei ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen oder (mittelbar) die ihrer Mitglieder fördert. An der Selbstlosigkeit fehlt es nicht nur dann, wenn der Eigennutz der Mitglieder in den Vordergrund tritt, Selbstlosigkeit i.S.v. § 55 AO ist im Regelfall auch dann zu verneinen, wenn das Entstehen von eigenwirtschaftlichen Vorteilen für alle Beteiligten oder wenigstens für einen wesentlichen Teil der Beteiligten mitentscheidend gewesen ist. Eigenwirtschaftliche Zwecke der Mitglieder werden somit "in erster Linie" verfolgt, wenn die bewirkte Förderung der Allgemeinheit im Vergleich zu den eigenwirtschaftlichen Vorteilen der Mitglieder oder ihnen nahestehenden Personen nicht überwiegt.
Die Feststellung der fehlenden Selbstlosigkeit erfordert eine Abwägung zwischen den eigenwirtschaftlichen Vorteilen und der Förderung der Allgemeinheit. Dabei sind Art und Ausmaß des eigenwirtschaftlichen Vorteils des einzelnen Mitglieds ebenso zu berücksichtigen wie die Anzahl der wirtschaftlich geförderten Mitglieder im Verhältnis zur Gesamtzahl der Mitglieder und der geförderten Personen insgesamt. Dabei ist der Selbstlosigkeitsgrundsatz nicht auf wirtschaftliche Vorteile der Mitglieder in ihrer Erwerbssphäre beschränkt; schädlich sind überdies wirtschaftliche Vorteile im privaten Bereich, also auch ersparte Aufwendungen. Erstreben die Mitglieder einer Körperschaft durch ihre Beteiligung an der Gründung in erster Linie eine "Ausgabenersparnis", fehlt es daher an der Selbstlosigkeit. Eine (schädliche) Ausgabenersparnis tritt auch dann ein, wenn wirtschaftliche Vorteile in Gestalt der Steuerersparnis erlangt werden sollen.
Im vorliegenden Fall führte die Abwägung des von der Klägerin bewirkten Gemeinwohlnutzens mit den von ihr selbst und ihren Gesellschaftern verfolgten eigenwirtschaftlichen Interessen zu dem Ergebnis, dass die objektiv bewirkte Förderung der Allgemeinheit die eigenwirtschaftlichen Vorteile sämtlicher Mitglieder und es ihr nahestehenden Darlehensnehmers nicht überwog, sondern die eigenwirtschaftlichen Vorteile zumindest mitentscheidend für die Gründung der Steuerpflichtigen waren. Der Senat konnte offen lassen, ob ein Verstoß gegen den Grundsatz der Selbstlosigkeit aus dem Vorliegen von vGA durch Vergabe zu niedrig verzinster und ungesicherter Darlehen folgt.
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