Anfang 2017 gerieten mehrere Fleischverarbeiter in erhebliche Schwierigkeiten. Hat sich die Lage aus Ihrer Sicht stabilisiert?
Aktuell ist etwas Druck vom Kessel. Die virulenten Basisthemen – zurückgehender Fleischkonsum, gnadenloser Preiskampf, steigende Löhne und damit einhergehend extremer Kostendruck – haben die Fleischproduzenten und -verarbeiter aber weiterhin im Schwitzkasten. Trotz einer einigermaßen stabilen Produktion sinken die Erträge. Wenn dann Unternehmen beginnen, ihre Cash-Reserven aufzubrauchen, wird die Lage kritisch.
Vor welchen konkreten Herausforderungen steht die Fleischbranche in den kommenden Jahren?
Zusammengefasst geht es um drei Hauptthemen: Preis, Wettbewerb und Kosten. Nehmen wir den Preis. Zwar gibt es einige kleine Nischenmärkte, in denen Kunden bereit sind, für innovative Produkte oder bestimmte Eigenschaften einen höheren Preis zu zahlen. Das Gros der Verbraucher ist allerdings weiterhin äußerst preissensibel. Das, was die Kunden kaufen, ist dabei nicht unbedingt das, was sie laut eigener Aussage bevorzugen, zum Beispiel ökologisch, regional und ethisch produzierte Fleisch- und Wurstwaren. Die meisten entscheiden sich dann aber doch für das Hackfleisch aus dem SB-Regal für 1,89 Euro je 500-g-Packung. Das belegt auch die omnipräsente preisaggressive Werbung. Aus Sicht des Handels ist und bleibt Fleisch ein „Lockprodukt“.
Der zweite Faktor ist der hohe Wettbewerbsdruck. Trotz Konsolidierung bestehen nach wie vor Überkapazitäten in Schlachtung, Zerlegung und Weiterverarbeitung. Die fragmentierte Weiterverarbeitung steht, nicht zuletzt auch durch die Konkurrenz der LEH-eigenen Verarbeitung, besonders unter Druck. Verschärft wird der Wettbewerb durch den rückläufigen Markt für Fleisch- und Wurstwaren. Hier schlägt die Intensivierung der medial inszenierten, kritischen Berichterstattung zu Buche. Zu land- und insbesondere fleischwirtschaftlichen Themen generell sowie speziell zu Tierhaltungs- und Ernährungsfragen.
Drittens drücken steigende Kosten in der Urproduktion und die langsam abnehmende Verfügbarkeit schlachtreifer Tiere und der sich daraus entwickelnde „Kampf um’s Schwein“.
Wie können die Fleischwarenhersteller gegensteuern?
Rohstoffeinkauf und Verkaufspreis unterliegen überwiegend äußeren Einflüssen. Hier haben die Unternehmen limitierte eigene Einflussmöglichkeiten, um ihre Wettbewerbsposition zu verbessern. Sie sollten sich daher auf interne Faktoren konzentrieren, sprich auf die Kosten. Durch die Verbesserung der Kostenposition können die Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig verbessern.
Ein anderes Thema ist das Sortiment. Blicken wir in die Wurstindustrie, wird deutlich, dass sich das Volumen in erster Linie im Preiseinstiegs- und im Eco-Segment abspielt, weniger in der Mittel- oder Premiumklasse. Für Unternehmen heißt dies, entweder hohe Volumen effizient zu bedienen oder aber eine (Marken-) Nische aufzubauen. Marken lassen sich zwar etablieren, das zeigen einige Beispiele, herausstechend werden sie aber selten. Und: Eine Ausdifferenzierung ist und bleibt enorm teuer!
Bei einem gesättigten Inlandsmarkt sind Unternehmen gut beraten, auch an Möglichkeiten im Export denken. Allerdings sind Auslandsmärkte von der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung abhängig. Daher besteht ein großes „boost-or-break“-Risiko. Der Export kann aber ein zusätzliches Standbein sein.
Welche Möglichkeiten haben Unternehmen, wenn sie Kosten senken möchten?
Kostenoptimum in stagnierenden Märkten zu erreichen, bedeutet angesichts der hohen Fixkosten in erster Linie, vorhandene Kapazitäten maximal auszulasten. Ferner muss sich das Management ausnahmslos jeden Bereich ansehen, vom Personal über Verpackung und Energie bis zu Leasing und Logistik. Es kommt darauf an, sich konsequent auf messbare Leistungsfähigkeit und Effizienz zu trimmen. Sind alle finanz- und leistungswirtschaftlichen Potenziale ausgeschöpft, müssen die Entscheider weiterdenken und das gesamte Geschäftsmodell hinterfragen. Dies bedeutet meist im ersten Schritt, gezielt auf Größe zugunsten steigender Profitabilität zu verzichten. Dabei geht es nicht mehr um Skaleneffekte wie vor einigen Jahren und Jahrzehnten, sondern um eine nachhaltig höhere Wertschöpfung.
Und wenn ein Unternehmen bereits in ernsthaften Schwierigkeiten steckt?
Die Augen zu verschließen, hilft zu keinem Zeitpunkt weiter. Im Gegenteil. Auch der Griff in das eigene Portemonnaie ist keine Lösung. Man muss sich ehrlich fragen: In welchen Bereichen, Regionen, Kunden und Artikelgruppen erzielen wir bedeutungslose oder sogar negative Deckungsbeiträge? Wie können wir diese Verlustbringer optimieren oder abbauen? Und: Können wir eine wettbewerbsfähige Zukunftsposition alleine erreichen? Oder sollten wir über eine Allianz oder eine Fusion nachdenken?
Was wird die Branche noch beschäftigen?
Integrierte Wertschöpfungsketten vom Ferkel bis zur Verarbeitung versprechen – gut, geschlossen und stabil gemacht – einen echten Mehrwert. Zu häufig aber fehlen ganze Kettenglieder oder verlässliche Verbindungen zwischen den einzelnen Wertschöpfungsstufen. Nachhaltigkeit und Ethik bleiben ebenfalls sehr präsent und gesellschaftlich konsensfähig. Auch wenn sich das, wie oben bereits erwähnt, nicht immer im Kaufverhalten widerspiegelt. Ein weiterer Dauerbrenner ist Compliance, ein Thema mit sehr vielen Facetten. Darunter fallen diverse politische, rechtliche und andere Themen. Vom Verhalten gegenüber Mitarbeitern über die Lebensmittelsicherheit bis zum Verbraucherschutz.
Welche Chancen bietet die Digitalisierung und wie weit ist Branche hier?
Die Fleischwirtschaft steht bei der Digitalisierung noch am Anfang. Natürlich, viele Prozesse rund um die Rückverfolgbarkeit etc. sind bereits stark automatisiert. Aber zukünftig geht es darum, entlang der Wertschöpfung den immer differenzierteren Ansprüchen gerecht zu werden – und dabei auch noch Geld zu verdienen. Das ruft die intelligente Vernetzung aller Teilprozesse, also von der Abbildung der Warenströme und Lagermanagement über Produktionsteuerung bis hin zu Vertrieb und Controlling, auf die Agenda. Eine große Herausforderung, denn Digitalisierung ist weder einfach noch zum Nulltarif zu haben. Und: Ohne Führung geht nichts!