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Steuerberatung

Zum Billigkeitserlass von Nachzahlungszinsen

BFH 31.5.2017, I R 92/15

Die Bei­spiele 14 und 15 zu Nr. 70.1.2 AEAO zu § 233a hal­ten, so­weit dort für den Be­ginn des "fik­ti­ven Zins­laufs" nicht auf den Tag der frei­wil­li­gen Zah­lung, son­dern erst auf den Fol­ge­tag ab­ge­stellt wird, die ge­setz­li­chen Gren­zen des Er­mes­sens nicht ein.

Der Sach­ver­halt:
Zwi­schen den Be­tei­lig­ten ist strei­tig, in wel­chem Um­fang fest­ge­setzte Nach­zah­lungs­zin­sen we­gen sach­li­cher Un­bil­lig­keit zu er­las­sen sind. Die Kläge­rin, eine Ka­pi­tal­ge­sell­schaft, teilte dem Fi­nanz­amt schrift­lich mit, dass auf­grund ei­ner lau­fen­den Be­triebsprüfung Körper­schaft­steu­er­nach­zah­lun­gen zu er­war­ten seien. Sie kündigte eine frei­wil­lige Körper­schaft­steu­er­zah­lung in ent­spre­chen­der Höhe für die Jahre 1998 bis 2000 an. Der Be­trag wurde am 30.4.2007 auf einem Konto der Fi­nanz­behörde gut­ge­schrie­ben und von die­ser an­ge­nom­men. Nach Ab­schluss der Be­triebsprüfung er­ließ das Fi­nanz­amt geänderte Körper­schaft­steu­er­be­scheide für die Jahre 1998 bis 2000 und setzte un­ter dem Da­tum des 26.11.2010 Steu­ern so­wie Nach­zah­lungs­zin­sen gem. § 233a AO fest.

We­nige Tage später be­an­tragte die Kläge­rin auf der Grund­lage von Nr. 70.1.1 S. 2 AEAO zu § 233a AO aus sach­li­chen Bil­lig­keitsgründen den Er­lass von Nach­zah­lungs­zin­sen zur Körper­schaft­steuer 1998 bis 2000. Zur Begründung ver­wies sie auf ihre frei­wil­lige Leis­tung im April 2007. Die Kläge­rin ging hier­bei da­von aus, dass Zin­sen für 43 volle Mo­nate im Zeit­raum 30.4.2007 bis zum 29.11.2010 zu er­las­sen sind. Bei ih­rer Be­rech­nung be­zog sie den Zah­lungs­tag 30.4.2007 vollständig ein. Un­ter Ein­schluss des Ta­ges des Wirk­sam­wer­dens der Steu­er­fest­set­zung - Be­kannt­gabe gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO - am 29.11.2010 seien ex­akt 43 volle Mo­nate er­reicht.

Das Fi­nanz­amt gab die­sem An­trag nur teil­weise statt. In sei­nen Be­schei­den über eine ab­wei­chende Fest­set­zung der Zin­sen zur Körper­schaft­steuer für 1998, 1999 und 2000 aus Bil­lig­keitsgründen ging es von einem er­lassfähi­gen aus, den es auf der Grund­lage von 42 vollen Zins­mo­na­ten er­mit­telt hatte. Nach den Bei­spie­len 14 und 15 zu Nr. 70.1.2 AEAO zu § 233a be­ginne der "fik­tive Zins­lauf", der über das Ausmaß der zu er­las­sen­den Zin­sen ent­scheide, erst am Tage nach der Zah­lung. Folg­lich gehe es um den Zeit­raum vom 1.5.2007 bis zum 29.11.2010. Für das Er­rei­chen des vollen 43. Mo­nats fehle da­mit ein Tag.

Das FG gab der hier­ge­gen ge­rich­te­ten Klage statt. Die Re­vi­sion des Fi­nanz­amts hatte vor dem BFH kei­nen Er­folg.

Die Gründe:
Das FG hat ohne Rechts­feh­ler da­hin er­kannt, dass die Be­scheide vom 8.7.2011 über die ab­wei­chende Zins­fest­set­zung aus Bil­lig­keitsgründen rechts­wid­rig sind, weil das Fi­nanz­amt i.S.d. § 102 FGO er­mes­sens­feh­ler­haft ge­han­delt hat. Denn es ist nicht er­mes­sens­ge­recht, für den Be­ginn des "fik­ti­ven Zins­laufs" nicht auf den Tag der frei­wil­li­gen Zah­lung, son­dern erst auf den Fol­ge­tag ab­zu­stel­len.

Ein Er­lass der Nach­zah­lungs­zin­sen in Höhe ver­gleich­bar be­rech­ne­ter Zin­sen ist eine mögli­che Er­mes­sens­ausübung. Die frei­wil­lige Leis­tung der - er­mit­tel­ten, aber noch nicht fest­ge­setz­ten - Steuer hat zur Folge, dass die Steuer im Zeit­raum zwi­schen an­ge­nom­me­ner Zah­lung und Fest­set­zung über­zahlt ist. Es be­steht ein Gut­ha­ben zu­guns­ten des Steu­er­pflich­ti­gen. Sach­ge­recht ist dann, wenn Zin­sen für den über­zahl­ten Be­trag ("fik­tive Er­stat­tungs­zin­sen") be­rech­net und im Er­lass­wege da­durch berück­sich­tigt wer­den, dass in Höhe der "fik­ti­ven Er­stat­tungs­zin­sen" die Nach­zah­lungs­zin­sen re­du­ziert wer­den. Es ist al­ler­dings nicht sach­ge­recht und keine rechtmäßige Er­mes­sens­ausübung, bei der Be­rech­nung des Er­lass­be­tra­ges den Zins­lauf der "fik­ti­ven Er­stat­tungs­zin­sen" ("fik­ti­ver Zins­lauf") ab­wei­chend von den für Er­stat­tungs­zin­sen gel­ten­den Re­ge­lun­gen zu be­stim­men. Da­von ge­hen die Richt­li­nien in den Bei­spie­len 14 und 15 zu Nr. 70.1.2 AEAO zu § 233a aber aus. Denn dort wird als Be­ginn des "fik­ti­ven Zins­laufs" nicht auf den Tag der frei­wil­li­gen Leis­tung, son­dern auf den Fol­ge­tag ab­ge­stellt.

Begründet wird dies mit der über § 108 Abs. 1 AO an­zu­wen­den­den Frist­vor­schrift des § 187 Abs. 1 BGB. Da­nach ist, wenn für den An­fang ei­ner Frist ein Er­eig­nis maßge­bend ist, der Tag, in den das Er­eig­nis fällt, nicht mit­zu­rech­nen. Hin­sicht­lich des Be­ginns des Zins­laufs be­stimmt je­doch § 238 Abs. 1 S. 2 AO, dass Zin­sen von dem Tag an, an dem der Zins­lauf be­ginnt, zu zah­len sind. Die For­mu­lie­rung "von dem Tag an" ist zwei­fels­frei in dem Sinne zu ver­ste­hen, dass der er­ste Tag des Zins­laufs von An­fang an, also ab 0 Uhr, bei der Be­rech­nung des Zins­laufs und der Er­mitt­lung der vollen Mo­nate mit­zuzählen ist. Die Re­ge­lung in § 238 Abs. 1 S. 2 AO gilt - man­gels ent­ge­gen­ste­hen­der Be­stim­mun­gen - auch für die Be­stim­mung des Zins­laufs bei Er­stat­tungs­zin­sen. Die Ver­zin­sung be­ginnt hier frühes­tens mit dem Tag der Zah­lung (§ 233a Abs. 3 S. 3 Halbs. 2 AO). Der Zah­lungs­tag ist dem­nach von An­fang an ("von dem Tag an"), d.h. ab Ta­ges­be­ginn um 0 Uhr, bei der Be­rech­nung der Dauer des Zins­laufs und der Er­mitt­lung der vollen Mo­nate ein­zu­be­zie­hen.

Die ge­setz­lich an­ge­ord­nete Berück­sich­ti­gung des ge­sam­ten ers­ten Ta­ges für die Er­mitt­lung der Dauer des Zins­laufs und der vollen Mo­nate hat so­dann zur Folge, dass sich die Frist­be­rech­nung nicht nach §§ 187 Abs. 1 ("Er­eig­nis"), 188 Abs. 2 Var. 1 BGB i.V.m. § 108 Abs. 1 AO, son­dern nach §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 Var. 2 BGB i.V.m. § 108 Abs. 1 AO rich­tet. Da­nach wird, wenn der Be­ginn ei­nes Ta­ges der für den An­fang ei­ner Frist maßge­bende Zeit­punkt ist, die­ser Tag bei der Be­rech­nung der Frist mit­ge­rech­net. Das Fris­tende ist dann mit dem Ab­lauf des­je­ni­gen Ta­ges des letz­ten Mo­nats er­reicht, wel­cher dem Tage vor­her­geht, der durch seine Zahl dem An­fangs­tage der Frist ent­spricht. Die Er­mitt­lung der An­zahl der "vollen Mo­nate" gem. §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 Var. 2 BGB ent­spricht der herr­schen­den Mei­nung in der Li­te­ra­tur, der sich der BFH an­schließt.

Es ist also kein Grund er­sicht­lich, wa­rum bei der Be­rech­nung "fik­ti­ver Er­stat­tungs­zin­sen" der Zins­lauf ab­wei­chend von der durch die AO vor­ge­ge­be­nen Re­ge­lungs­sys­te­ma­tik be­stimmt wer­den sollte. Nr. 70.1.2 AEAO zu § 233a ist an diese Sys­te­ma­tik an­ge­lehnt. Es ist da­her nicht er­mes­sens­ge­recht, da­von ohne trif­ti­gen Grund ab­zu­wei­chen und zu un­ter­stel­len, dass im Falle der frei­wil­li­gen Leis­tung das Ka­pi­tal dem Steu­er­pflich­ti­gen am Zahl­tag noch zur al­lei­ni­gen Nut­zung zur Verfügung ge­stan­den hat, im Falle ei­ner Leis­tung nach vor­he­ri­ger Fest­set­zung (z.B. von Vor­aus­zah­lun­gen) aber nicht.

Link­hin­weis:

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