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Zum Umfang des urheberrechtlichen Zitatrechts

EuGH, C-516/17: Schlussanträge des Generalanwalts vom 10.1.2019

Die in Art. 11 der Charta der Grund­rechte der Eu­ropäischen Union ver­an­kerte Frei­heit der Mei­nungsäußerung und der Me­dien schränkt die aus­schließli­chen Rechte des Ur­he­bers, die Ver­vielfälti­gung und die öff­ent­li­che Wie­der­gabe sei­nes Werks außer­halb der in Art. 5 Abs. 2 und 3 der Richt­li­nie 2001/29 vor­ge­se­he­nen Be­schränkun­gen und Aus­nah­men zu er­lau­ben oder zu ver­bie­ten, we­der ein, noch recht­fer­tigt sie eine Aus­nahme von die­sen Rech­ten oder de­ren Ver­let­zung. Dies gilt auch, wenn der Ur­he­ber des in Rede ste­hen­den Werks ein öff­ent­li­ches Amt ausübt und wenn die­ses Werk seine Über­zeu­gun­gen in Be­zug auf Fra­gen von all­ge­mei­nem In­ter­esse of­fen­bart, so­fern die­ses Werk der Öff­ent­lich­keit be­reits zugäng­lich ist.

Der Sach­ver­halt:

Der Kläger, Vol­ker Beck, war von 1994 bis 2017 Mit­glied des Deut­schen Bun­des­tags. Er ist Ver­fas­ser ei­nes Ar­ti­kels, der sich mit heik­len und um­strit­te­nen straf­rechts­po­li­ti­schen Fra­gen be­fasst. Die­ser Ar­ti­kel wurde 1988 in ei­ner Text­samm­lung veröff­ent­licht. Bei die­ser Veröff­ent­li­chung veränderte der Her­aus­ge­ber den Ti­tel des Ma­nu­skripts und kürzte im Text einen Satz. Der Kläger be­an­stan­dete das ge­genüber dem Her­aus­ge­ber und for­derte ihn ver­geb­lich auf, dies bei der Veröff­ent­li­chung der Text­samm­lung durch einen Her­aus­ge­ber­ver­merk kennt­lich zu ma­chen. Spätes­tens seit dem Jahr 1993 dis­tan­zierte sich der Kläger vollständig vom In­halt die­ses Ar­ti­kels.

Im Jahr 2013 wurde das Ma­nu­skript des in Rede ste­hen­den Ar­ti­kels in einem Ar­chiv auf­ge­fun­den und dem Kläger vor­ge­legt, der zu die­sem Zeit­punkt für die ei­nige Tage später an­ste­hende Bun­des­tags­wahl kan­di­dierte. Der Kläger stellte das Do­ku­ment ver­schie­de­nen Zei­tungs­re­dak­tio­nen als Nach­weis zur Verfügung, dass sein Ma­nu­skript in dem im Sam­mel­band veröff­ent­lich­ten Ar­ti­kel verändert wor­den war. Ei­ner Veröff­ent­li­chung der Texte in den Me­dien stimmte er hin­ge­gen nicht zu. Er veröff­ent­lichte je­doch die bei­den Ver­sio­nen des Ar­ti­kels auf sei­ner ei­ge­nen Web­site, in­dem er jede Seite mit fol­gen­der Auf­schrift ver­sah: "Ich dis­tan­ziere mich von die­sem Bei­trag. Vol­ker Beck". Auf den Sei­ten des in der Text­samm­lung veröff­ent­lich­ten Ar­ti­kels war zusätz­lich fol­gende Auf­schrift an­ge­bracht: "[Die Veröff­ent­li­chung die­ses Tex­tes] ist nicht au­to­ri­siert und durch freie Re­di­gie­rung in Über­schrift und Text­tei­len durch [den Her­aus­ge­ber] verfälscht."

Die be­klagte Spie­gel On­line GmbH be­treibt das In­ter­net-Nach­rich­ten­por­tal Spie­gel On­line. Am 20. Sep­tem­ber 2013 veröff­ent­lichte sie einen Pres­se­ar­ti­kel, in dem sie be­haup­tete, der Kläger habe die Öff­ent­lich­keit jah­re­lang getäuscht, weil der we­sent­li­che In­halt sei­nes Ma­nu­skripts in der Aus­gabe von 1988 nicht verfälscht wor­den sei. Zusätz­lich zu die­sem Pres­se­ar­ti­kel von Spie­gel On­line konn­ten die Ori­gi­nal­fas­sun­gen des Ma­nu­skripts und des im Sam­mel­band veröff­ent­lich­ten Ar­ti­kels des Klägers über einen Hy­per­link ab­ge­ru­fen wer­den. Der Kläger wehrte sich da­ge­gen, dass Spie­gel On­line den vollständi­gen Text sei­nes Ar­ti­kels auf ih­rer Web­site zugäng­lich machte, was er als Ver­let­zung sei­nes Ur­he­ber­rechts an­sah.

LG und OLG ga­ben der Klage statt. Die Be­klagte legte da­her Re­vi­sion zum BGH ein. Die­ser setzte das Ver­fah­ren aus und legte dem EuGH eine Reihe von Fra­gen zum Um­fang des ur­he­ber­recht­li­chen Zi­tat­rechts vor.

Die Gründe:

Ge­ne­ral­an­walt Sz­punar hat dem EuGH in sei­nen Schlus­santrägen vor­ge­schla­gen, dem BGH wie folgt zu ant­wor­ten:

Die Mit­glied­staa­ten sind ver­pflich­tet, in ih­rem in­ner­staat­li­chen Recht den Schutz der in den Art. 2 bis 4 der Richt­li­nie 2001/29/EG zur Har­mo­ni­sie­rung be­stimm­ter As­pekte des Ur­he­ber­rechts und der ver­wand­ten Schutz­rechte in der In­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft auf­geführ­ten aus­schließli­chen Rechte si­cher­zu­stel­len, wo­bei eine Ein­schränkung die­ser Rechte nur im Rah­men der An­wen­dung der Aus­nah­men und Be­schränkun­gen zulässig ist, die in Art. 5 die­ser Richt­li­nie ab­schließend auf­geführt sind. Den Mit­glied­staa­ten bleibt je­doch die Wahl der Mit­tel über­las­sen, die zu er­grei­fen sie für zweckmäßig er­ach­ten, um die­ser Ver­pflich­tung nach­zu­kom­men.

Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richt­li­nie 2001/29 ist da­hin aus­zu­le­gen, dass die Be­nut­zung ei­nes li­te­ra­ri­schen Werks im Rah­men ei­nes Be­richts über Ta­ges­er­eig­nisse nicht un­ter die in die­sem Ar­ti­kel vor­ge­se­hene Aus­nahme fällt, wenn der mit die­ser Be­nut­zung ver­folgte Zweck die Lektüre der Ge­samt­heit oder ei­nes Teils die­ses Werks er­for­dert. Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richt­li­nie 2001/29 ist da­hin aus­zu­le­gen, dass die in die­ser Be­stim­mung vor­ge­se­hene Aus­nahme für Zi­tate nicht die Fälle um­fasst, in de­nen ein gan­zes Werk ohne die Zu­stim­mung sei­nes Ur­he­bers auf ei­ner In­ter­net­seite in Ge­stalt ei­ner Da­tei, die selbständig ab­ge­ru­fen und her­un­ter­ge­la­den wer­den kann, öff­ent­lich zugäng­lich ge­macht wird, so dass der Le­ser nicht auf das Ori­gi­nal­werk zurück­zu­grei­fen braucht.

Die in Art. 11 der Charta der Grund­rechte der Eu­ropäischen Union ver­an­kerte Frei­heit der Mei­nungsäußerung und der Me­dien schränkt die aus­schließli­chen Rechte des Ur­he­bers, die Ver­vielfälti­gung und die öff­ent­li­che Wie­der­gabe sei­nes Werks außer­halb der in Art. 5 Abs. 2 und 3 der Richt­li­nie 2001/29 vor­ge­se­he­nen Be­schränkun­gen und Aus­nah­men zu er­lau­ben oder zu ver­bie­ten, we­der ein, noch recht­fer­tigt sie eine Aus­nahme von die­sen Rech­ten oder de­ren Ver­let­zung. Dies gilt auch, wenn der Ur­he­ber des in Rede ste­hen­den Werks ein öff­ent­li­ches Amt ausübt und wenn die­ses Werk seine Über­zeu­gun­gen in Be­zug auf Fra­gen von all­ge­mei­nem In­ter­esse of­fen­bart, so­fern die­ses Werk der Öff­ent­lich­keit be­reits zugäng­lich ist.

Im Übri­gen fällt die Nut­zung ei­nes Werks - hier: des in Rede ste­hen­den Ar­ti­kels des Klägers durch die Be­klagte - nicht un­ter die Aus­nah­men von den aus­schließli­chen Rech­ten des Ur­he­bers, die der BGH in Be­tracht ge­zo­gen hat, nämlich un­ter die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. c und d der Richt­li­nie 2001/29 vor­ge­se­he­nen Aus­nah­men.

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