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Verhältnis von Feststellungsbescheid (§ 251 Abs. 3 AO) und Insolvenzfeststellungsklage

BFH 18.8.2015, V R 39/14

Nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens über das Vermögen des Steu­er­schuld­ners ist die Fest­stel­lung der vor In­sol­ven­zeröff­nung mit Ein­spruch und Klage an­ge­foch­te­nen und im Prüfungs­ter­min vom In­sol­venz­ver­wal­ter be­strit­te­nen Steu­er­for­de­rung durch das Fi­nanz­amt nicht mit Fest­stel­lungs­be­scheid nach § 251 Abs. 3 AO, son­dern nur durch Auf­nahme des un­ter­bro­che­nen Kla­ge­ver­fah­rens zu be­trei­ben. Das ur­sprüng­li­che An­fech­tungs­ver­fah­ren wan­delt sich da­bei in ein In­sol­venz­fest­stel­lungs­ver­fah­ren um, wo­durch sich die Par­tei­rol­len der Be­tei­lig­ten ändern.

Der Sach­ver­halt:
Steu­er­be­ra­ter B (späte­rer In­sol­venz­schuld­ner) gab für die Streit­jahre 2000 und 2001 zunächst keine Um­satz­steu­er­erklärun­gen ab. Das Fi­nanz­amt setzte nach ei­ner Um­satz­steu­er­son­derprüfung die Um­satz­steuer 2000 und 2001 auf der Grund­lage von Kon­troll­mit­tei­lun­gen und Hin­zu­schätzun­gen im Sep­tem­ber 2002 fest. Im Ein­spruchs­ver­fah­ren reichte B Steu­er­erklärun­gen ein. Das Fi­nanz­amt änderte die Um­satz­steu­er­fest­set­zun­gen 2000 und 2001 im Mai 2003. Die hier­ge­gen nach er­folg­lo­sem Ein­spruchs­ver­fah­ren er­ho­be­nen Kla­gen 8 K 5787/03 und 8 K 227/04 nahm B zurück.

Im Mai 2004 er­ließ das Fi­nanz­amt den Um­satz­steu­er­be­scheid für das Streit­jahr 2002. B legte hier­ge­gen Ein­spruch ein, und das Fi­nanz­amt führte im Jahr 2006 eine Be­triebsprüfung für 2000 bis 2002 durch, in de­ren Folge es am 6.4.2006 geänderte Um­satz­steu­er­be­scheide für 2000 bis 2002 er­ließ. Den hier­ge­gen ein­ge­leg­ten Ein­spruch be­schied das Fi­nanz­amt mit Ein­spruchs­ent­schei­dung vom 18.8.2006. Am 6.9.2006 er­hob B Klage ge­gen die geänder­ten Um­satz­steu­er­be­scheide vom 6.4.2006 in Ge­stalt der Ein­spruchs­ent­schei­dung vom 18.8.2006. Während des Kla­ge­ver­fah­rens wurde eine Steu­er­fahn­dungsprüfung bei B durch­geführt. Durch Be­schluss des AG vom 23.6.2008 wurde der spätere Be­klagte zum vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellt. Am 20.10.2008 er­ließ das Fi­nanz­amt auf der Grund­lage der Er­geb­nisse der Fahn­dungsprüfung geänderte Um­satz­steu­er­be­scheide für die Streit­jahre 2000 bis 2002.

Durch Be­schluss des AG vom 6.11.2008 wurde das In­sol­venz­ver­fah­ren über das Vermögen des B eröff­net und der spätere Be­klagte zum In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellt. Die­ser er­hob Wi­der­spruch ge­gen die vom Fi­nanz­amt zur Ta­belle an­ge­mel­de­ten Um­satz­steu­er­for­de­run­gen. Das Fi­nanz­amt er­ließ am 7.6.2010 einen Fest­stel­lungs­be­scheid nach § 251 Abs. 3 AO. Die Klage des In­sol­venz­schuld­ners B wies das FG durch Ur­teil vom 29.7.2014 ab. Die hier­ge­gen ein­ge­legte Be­schwerde über die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­sion wies der BFH durch Be­schluss zurück (BFH 23.7.2015, VII B 132/14). Am 4.10.2012 nahm das Fi­nanz­amt das Ver­fah­ren 8 K 3605/06 we­gen Um­satz­steuer 2000 bis 2002 auf. Das bis­he­rige An­fech­tungs­ver­fah­ren wan­delte sich da­durch in ein In­sol­venz­fest­stel­lungs­ver­fah­ren mit dem Fi­nanz­amt als Kläger und dem In­sol­venz­ver­wal­ter als Be­klag­ten um.

Das FG gab der Klage des Fi­nanz­amts statt und stellte fest, dass die An­mel­dung der Um­satz­steuer 2000 bis 2002 zur In­sol­venz­ta­belle in der an­ge­mel­de­ten Höhe zu Recht er­folgt sei, weil die Um­satz­steu­er­be­scheide rechtmäßig ge­we­sen seien. Auf die Re­vi­sion des Be­klag­ten hob der BFH das Ur­teil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Das FG hat zwar zu­tref­fend er­kannt, dass sich das ur­sprüng­li­che An­fech­tungs­ver­fah­ren durch die Auf­nahme des Fi­nanz­amts in eine In­sol­venz­fest­stel­lungs­klage des Fi­nanz­amts ge­wan­delt hat. Diese Fest­stel­lungs­klage ist je­doch un­zulässig, weil es spätes­tens seit dem Ein­tritt der Un­an­fecht­bar­keit des Fest­stel­lungs­be­schei­des vom 7.6.2010 mit Be­kannt­gabe des BFH-Be­schlus­ses vom 23.7.2015 VII B 132/14 an dem Fest­stel­lungs­in­ter­esse des Fi­nanz­amts fehlt.

Nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens über das Vermögen des Steu­er­schuld­ners ist die Fest­stel­lung der vor In­sol­ven­zeröff­nung mit einem Ein­spruch an­ge­foch­te­nen und im Prüfungs­ter­min vom In­sol­venz­ver­wal­ter be­strit­te­nen Steu­er­for­de­rung nur durch Auf­nahme des un­ter­bro­che­nen Kla­ge­ver­fah­rens zu be­trei­ben. Das ur­sprüng­li­che An­fech­tungs­ver­fah­ren hat sich durch die Auf­nahme des Ver­fah­rens durch das Fi­nanz­amt in ein In­sol­venz­fest­stel­lungs­ver­fah­ren ge­wan­delt, wo­durch sich die Par­tei­rol­len der Be­tei­lig­ten geändert ha­ben. Das Fi­nanz­amt tritt nun­mehr als Kla­ge­par­tei hin­sicht­lich des von ihm er­ho­be­nen Fest­stel­lungs­an­trags auf. Streit­ge­gen­stand ist da­bei die Be­sei­ti­gung des Wi­der­spruchs durch Fest­stel­lung der im Prüfungs­ter­min gel­tend ge­mach­ten For­de­rung zur Ta­belle.

Diese Fest­stel­lungs­klage ist un­zulässig, weil das gem. § 41 Abs. 1 FGO er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­esse des Fi­nanz­amts spätes­tens mit Ein­tritt der Un­an­fecht­bar­keit des am 7.6.2010 er­las­se­nen Fest­stel­lungs­be­schei­des durch den BFH-Be­schluss vom 23.7.2015, VII B 132/14 ent­fal­len ist; die Vor­ent­schei­dung ist da­durch un­rich­tig ge­wor­den. Ein gem. § 251 Abs. 3 AO wirk­sam er­las­se­ner Be­scheid enthält die Fest­stel­lung, dass der be­strit­tene An­spruch in der gel­tend ge­mach­ten Höhe be­steht und i.S.d. § 38 InsO begründet ist. Fest­ge­stellte Steu­er­an­sprüche wer­den von der rechts­kraftähn­li­chen Wir­kung des Ta­bel­len­ein­tra­ges i.S.v.§ 178 Abs. 3 InsO er­fasst, so dass sie ohne Steu­er­be­scheid durch­ge­setzt wer­den können.

Wird der Fest­stel­lungs­be­scheid -wie hier - un­an­fecht­bar, wirkt er in ent­spre­chen­der An­wen­dung der Re­ge­lung in § 183 Abs. 1 InsO wie eine rechtskräftige Ent­schei­dung ge­genüber dem In­sol­venz­ver­wal­ter und al­len In­sol­venzgläubi­gern. Ein wei­ter­ge­hen­des Fest­stel­lungs­in­ter­esse des Fi­nanz­amts be­steht im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren je­den­falls seit Ein­tritt der Un­an­fecht­bar­keit des Fest­stel­lungs­be­schei­des vom 7.6.2010 mit Be­kannt­gabe des BFH-Be­schlus­ses vom 23.7.2015, VII B 132/14 nicht. Das Fest­stel­lungs­in­ter­esse muss auch noch im Zeit­punkt der Ent­schei­dung durch den BFH über die Re­vi­sion vor­lie­gen.

Eine Un­rich­tig­keit des FG-Ur­teils kann des­halb auch nachträglich noch während des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens durch Tat­sa­chen ein­tre­ten, die den Fort­gang des Ver­fah­rens be­tref­fen. Eine sol­che Tat­sa­che stellt die vom Re­vi­si­ons­ge­richt in je­der Lage des Ver­fah­rens zu prüfende Sa­ch­ent­schei­dungs­vor­aus­set­zung des fort­be­ste­hen­den Rechts­schutz­in­ter­es­ses dar. Fällt das Rechts­schutz­in­ter­esse während des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens weg, entfällt diese Sa­ch­ent­schei­dungs­vor­aus­set­zung auch für die Klage. Da das Fest­stel­lungs­in­ter­esse nur eine be­son­dere Er­schei­nungs­form des all­ge­mei­nen Rechts­schutz­bedürf­nis­ses ist, gilt für den Fort­fall des Fest­stel­lungs­in­ter­es­ses das­selbe.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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