Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte im August 2011 mit ihrer gegen den Einkommensteuerbescheid 2004 gerichteten Klage Erfolg. Das FG stellte fest, dass Erstattungsüberhänge bei der Kirchensteuer auch "aus Vereinfachungsgründen" nicht in das jüngste Zahlungsjahr zurückgetragen werden könnten, sondern dem jeweiligen Zahlungsjahr zuzuordnen seien. Damit waren nach Ansicht des Gerichtes im Veranlagungszeitraum 2004 weniger Erstattungsüberhänge verrechenbar. Das Finanzamt änderte daraufhin im Dezember 2011 den Einkommensteuerbescheid 2004 den Vorgaben des Urteils entsprechend. Die nicht berücksichtigten Erstattungsüberhänge übertrug es auf die weiteren Zahlungsjahre und änderte im April 2012 gem. § 174 Abs. 4 AO die Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2003 zu Ungunsten der Klägerin.
Das FG gab der Klage statt. Auf die Revision des Finanzamtes hob der BFH das Urteil auf und wies die Klage ab.
Gründe:
Das FG hatte zu Unrecht entschieden, dass das Finanzamt die Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2003 nicht gem. § 174 Abs. 4 AO hätte ändern dürfen. Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO waren im Streitfall nämlich erfüllt.
Zwar geht ein Teil des Fachschrifttums und der Finanzgerichtsbarkeit davon aus - worauf die Klägerin und das FG auch hingewiesen hatten -, dass es an einer irrtümlichen Beurteilung i.S.d. § 174 Abs. 4 AO fehle, wenn die Finanzbehörde den Fehler vor Erlass des Steuerbescheids erkenne, den Steuerbescheid aber gleichwohl unverändert, also bewusst fehlerhaft erlasse. Demgegenüber haben sowohl der V. Senat als auch der IV. Senat bereits ausdrücklich entschieden, eine Änderung wegen der irrigen Beurteilung des Sachverhalts in einem anderen Bescheid sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Finanzamt insoweit vorsätzlich fehlerhaft gehandelt habe.
Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Die Änderung eines Einkommensteuerbescheids gem. § 174 Abs. 4 AO wegen der irrigen Beurteilung des Sachverhalts in einem anderen Bescheid, welcher auf Initiative des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten geändert wurde, ist nicht ausgeschlossen, wenn das Finanzamt bei Erlass des ursprünglichen Bescheids wissentlich fehlerhaft gehandelt hat. Der Steuerpflichtige soll vielmehr im Fall seines Obsiegens mit einem gewissen Rechtsstandpunkt an dieser Auffassung festgehalten werden, soweit derselbe Sachverhalt zu beurteilen ist.
Würde gefordert, dass die Finanzverwaltung auch subjektiv der Auffassung gewesen sein müsse, nicht rechtswidrig zu handeln, müsste die Behörde - da es sich dann um eine Voraussetzung für ihre Änderungsbefugnis handelt - jeweils darlegen und rechtfertigen, warum sie die sich später als richtig herausstellende Auffassung nicht bereits bei Erlass des fehlerhaften Steuerbescheids vertreten hatte. Es dürfte im Regelfall jedoch erhebliche Schwierigkeiten bereiten, die Erwägungen daraufhin zu überprüfen, ob sie unter keinen Umständen vertretbar gewesen sind, um ein bewusst fehlerhaftes Handeln auszuschließen.
Die Änderung der Steuerfestsetzungen 2000 bis 2003 verstieß auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Ein Verstoß war insbesondere nicht dem konkreten Verfahrensablauf zu entnehmen. Zwar wusste das Finanzamt seit der Einkommensteuerveranlagung 2005, dass ein Kirchensteuererstattungsüberhang gegeben war und somit die Einkommensteuerfestsetzungen früherer Veranlagungszeiträume zu ändern waren. Die gesetzliche Festsetzungsverjährung für die davon betroffenen Veranlagungen trat aber erst zum 31.12.2011 ein. Dass die Behörde erst zwei Jahre nach Kenntnis, aber immer noch innerhalb der Festsetzungsfrist, die ersten Schlussfolgerungen aus dem Erstattungsüberhang gezogen und die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2004 und 2003 geändert hatte, führte jedoch noch zu keinem Verstoß gegen Treu und Glauben.
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