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Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals "in Ergänzung" in Art. 1 § 3 CIM

BGH 9.10.2013, I ZR 115/12

Das Tat­be­stands­merk­mal "in Ergänzung" in Art. 1 § 3 CIM er­for­dert nicht, dass die Bahn den Über­nahme- oder den Ab­lie­fe­rungs­ort etwa we­gen Feh­lens ei­nes Gleis­an­schlus­ses nicht auf der Schiene er­rei­chen kann. Es kommt viel­mehr dar­auf an, dass der Straßen­beförde­rung im Verhält­nis zur Schie­nen­beförde­rung le­dig­lich eine un­ter­ge­ord­nete Be­deu­tung zu­kommt.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin ist Trans­port­ver­si­che­rer der Grun­dig In­ter­me­dia GmbH in Nürn­berg. Zwi­schen der Ver­si­che­rungs­neh­me­rin und der Be­klag­ten be­steht ein Rah­men­ver­trag über die Durchführung von Trans­por­ten. Die Ver­si­che­rungs­neh­me­rin hatte im Ja­nuar 2009 von einem in Is­tan­bul ansässi­gen Un­ter­neh­men Wa­ren aus dem Be­reich der Un­ter­hal­tungs­elek­tro­nik er­wor­ben. Das Gut ver­lud die Verkäuferin in einen an­schließend von ih­ren Mit­ar­bei­tern ver­plomb­ten Con­tai­ner.

Mit dem Trans­port des Con­tai­ners von Is­tan­bul nach Nürn­berg be­auf­tragte die Ver­si­che­rungs­neh­me­rin die Be­klagte, die den Auf­trag an ihre Streit­hel­fe­rin­nen wei­ter­gab. Ob ein Fah­rer der Be­klag­ten bei der Be­la­dung des Con­tai­ners in Is­tan­bul an­we­send war oder ob der Fah­rer den be­reits ver­schlos­se­nen und ver­plomb­ten Con­tai­ner über­nahm, blieb zwi­schen den Par­teien strei­tig. Der Trans­port durch die Streit­hel­fe­rin zu 2) zum Con­tai­ner­bahn­hof in Is­tan­bul er­folgte per Lkw. Von dort wurde der Con­tai­ner auf der Schiene nach Nürn­berg trans­por­tiert. Nach der An­kunft in Nürn­berg über­nahm ein Fah­rer der Streit­hel­fe­rin zu 1) den Con­tai­ner und beförderte ihn zum La­ger der Ver­si­che­rungs­neh­me­rin.

Die Kläge­rin be­haup­tete später, dass auf der La­de­liste auf­geführte Wa­ren im Wert von 30.719 € netto ge­fehlt hätten. Die­sen Be­trag so­wie 13,5% ent­gan­ge­nen Ge­winn und 659 € an­tei­lige Fracht­kos­ten machte die Kläge­rin ge­genüber der Be­klag­ten gel­tend. LG und OLG ga­ben der Klage statt. Auf die Re­vi­sion der Be­klag­ten hob der BGH das Be­ru­fungs­ur­teil auf und wies die Sa­che zur er­neu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das OLG zurück.

Gründe:
Zu Un­recht hatte das OLG an­ge­nom­men, eine Haf­tung der Be­klag­ten für den von der Kläge­rin be­haup­te­ten Ver­lust von Trans­port­gut be­ur­teile sich hier nach den Vor­schrif­ten des deut­schen Land­fracht­rechts (§§ 407 ff. HGB), da die Ein­heit­li­chen Rechts­vor­schrif­ten für den Ver­trag über die in­ter­na­tio­nale Ei­sen­bahn­beförde­rung von Gütern (CIM An­hang B zum Übe­rein­kom­men über den in­ter­na­tio­na­len Ei­sen­bahn­ver­kehr) nicht an­wend­bar seien.

Nach Art. 1 § 3 CIM fin­det die CIM An­wen­dung, wenn eine in­ter­na­tio­nale Beförde­rung, die Ge­gen­stand ei­nes ein­zi­gen Ver­trags ist, in Ergänzung der grenzüber­schrei­ten­den Beförde­rung auf der Schiene eine Beförde­rung auf der Straße oder auf Bin­nen­gewässern im Bin­nen­ver­kehr ei­nes Mit­glied­staats ein­schließt. Ent­ge­gen der An­sicht des Be­ru­fungs­ge­richts er­for­dert das Tat­be­stands­merk­mal "in Ergänzung" in Art. 1 § 3 CIM nicht, dass die Bahn den Über­nahme oder den Ab­lie­fe­rungs­ort etwa we­gen Feh­lens ei­nes Gleis­an­schlus­ses nicht auf der Schiene er­rei­chen kann. Maßgeb­lich ist viel­mehr, dass der Straßen­beförde­rung im Verhält­nis zur Schie­nen­beförde­rung le­dig­lich eine un­ter­ge­ord­nete Be­deu­tung zu­kommt.

So­mit wa­ren die Vor­aus­set­zun­gen für die An­wen­dung von Art. 1 § 3 CIM im vor­lie­gen­den Fall erfüllt. Die Be­klagte war von der Ver­si­che­rungs­neh­me­rin ein­heit­lich mit der Beförde­rung des hier in Rede ste­hen­den Con­tai­ners von Is­tan­bul nach Nürn­berg be­auf­tragt wor­den. Die Hilfs­trans­porte auf der Straße wa­ren so­wohl in der Türkei als auch in Deutsch­land im Verhält­nis zur Schie­nen­beförde­rung le­dig­lich von un­ter­ge­ord­ne­ter Be­deu­tung. Es han­delte sich je­weils um einen Bin­nentrans­port über we­nige Ki­lo­me­ter in der­sel­ben Stadt (Is­tan­bul und Nürn­berg). So­wohl die Türkei als auch Deutsch­land sind ohne Vor­be­halte (Art. 1 § 6 CIM) Mit­glied­staa­ten der CIM.

Da das Be­ru­fungs­ge­richt eine Scha­dens­er­satz­pflicht der Be­klag­ten auf der Grund­lage des deut­schen Land­fracht­rechts (§§ 407 ff. HGB) an­ge­nom­men hatte, konnte seine die Be­ru­fung zurück­wei­sende Ent­schei­dung kei­nen Be­stand ha­ben. Ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Aus­le­gung von Art. 1 § 3 CIM war im vor­lie­gen­den Fall nicht er­for­der­lich. Der Se­nat konnte al­ler­dings nicht selbst ent­schei­den, da noch wei­tere Fest­stel­lun­gen zur Frage er­for­der­lich sind, ob und ge­ge­be­nen­falls in wel­chem Um­fang Trans­port­gut während der Ob­huts­zeit der Be­klag­ten ab­han­den­ge­kom­men war. Zu­dem hat­ten die Vor­in­stan­zen keine Fest­stel­lun­gen dazu ge­trof­fen, ob An­sprüche der Ver­si­che­rungs­neh­me­rin - wie die Be­klagte gel­tend machte - gem. Art. 47 § 1 CIM er­lo­schen sind.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BGH veröff­ent­licht.
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