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Steuerberatung

Zur Berichtigung des fehlerhaften Einkommensteuerbescheids

BFH v. 10.12.2019 - IX R 23/18

§ 129 AO ist nicht an­wend­bar, wenn dem Sach­be­ar­bei­ter des Fi­nanz­am­tes ein Tat­sa­chen- oder Rechts­irr­tum un­ter­lau­fen ist oder er den Sach­ver­halt man­gel­haft auf­geklärt hat. Ein be­standskräfti­ger Steu­er­be­scheid kann in­so­fern nicht mehr von der Behörde nach § 129 AO be­rich­tigt wer­den, wenn die feh­ler­hafte Fest­set­zung ei­nes vom Steu­er­pflich­ti­gen ord­nungs­gemäß erklärten Veräußerungs­ge­winns i.S.d. § 17 EStG trotz ei­nes vom Fi­nanz­amt prak­ti­zier­ten "6 Au­gen-Prin­zips" nicht auf einem bloßen "me­cha­ni­schen Ver­se­hen" be­ruht.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger war im Streit­jahr 2011 al­lei­ni­ger Ge­sell­schaf­ter der B-GmbH. Am 17.11.2011 hatte er einen Ge­sell­schafts­an­teil von 20 % mit schuld­recht­li­cher Wir­kung zum 31.12.2010 zum Preis von 138.400 € veräußert. Un­ter Berück­sich­ti­gung der auf den veräußer­ten An­teil ent­fal­len­den An­schaf­fungs- und Veräußerungs­kos­ten er­gab sich ein Veräußerungs­ge­winn i.S.d. § 17 Abs. 1 und 2 EStG i.H.v. 132.900 €, der nach dem Tei­leinkünf­te­ver­fah­ren gem. § 3 Nr. 40 EStG zu 60 % - d.h. 79.740 € - der Be­steue­rung un­ter­liegt.

In sei­ner elek­tro­ni­sch ein­ge­reich­ten Ein­kom­men­steu­er­erklärung hatte der Kläger einen Ge­winn aus der Veräußerung ei­nes GmbH-Ge­sell­schafts­an­teils i.S.d. § 17 EStG zu­tref­fend erklärt und alle hierfür maßgeb­li­chen Un­ter­la­gen beim Fi­nanz­amt ein­ge­reicht. Der Ver­an­la­gungs­sach­be­ar­bei­ter prüfte dort den erklärten Ge­winn und be­han­delte die Ver­an­la­gung ent­spre­chend ein­schlägi­ger Ar­beits­an­wei­sun­gen u.a. als "In­ten­siv-Prüfungs­fall", der nicht nur der Zeich­nung durch den Vor­ge­setz­ten, son­dern auch der Prüfung durch die "Qua­litäts­si­che­rungs­stelle" un­ter­liegt.

Nach einem "Ab­bruch­hin­weis" im ma­schi­nel­len Ver­an­la­gungs­ver­fah­ren wurde bei der wei­te­ren Be­ar­bei­tung der Ein­kom­men­steu­er­erklärung des Klägers ein fal­scher Wert durch einen Mit­ar­bei­ter der Fi­nanz­behörde ein­ge­tra­gen, der im Er­geb­nis zu ei­ner zu ho­hen Steu­er­er­stat­tung für den Kläger führte. We­der im Rah­men der Ver­an­la­gung, noch bei der Prüfung durch die Qua­litäts­si­che­rungs­stelle noch bei der Zeich­nung auf Sach­ge­biets­lei­ter­ebene ("6-Au­gen-Prin­zip") fiel der feh­ler­hafte Ein­trag auf. Erst im Zuge ei­ner späte­ren Außenprüfung wurde der Feh­ler bei der Fest­set­zung er­kannt und der Ein­kom­men­steu­er­be­scheid nach § 129 Satz 1 AO be­rich­tigt.

Die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage blieb er­folg­los. Das FG ver­trat die Auf­fas­sung, dass das Fi­nanz­amt zur Be­rich­ti­gung des feh­ler­haf­ten Ein­kom­men­steu­er­be­schei­des be­rech­tigt ge­we­sen sei. Auf die Re­vi­sion des Klägers hob der BFH das Ur­teil auf und gab der Klage statt.

Gründe:
Das FG ist zu Un­recht da­von aus­ge­gan­gen, dass der be­standskräftige Ein­kom­men­steu­er­be­scheid für das Streit­jahr nach § 129 AO be­rich­tigt wer­den konnte.

§ 129 AO ist nicht an­wend­bar, wenn auch nur die ernst­hafte Möglich­keit be­steht, dass die Nicht­be­ach­tung ei­ner fest­ste­hen­den Tat­sa­che in ei­ner feh­ler­haf­ten Tat­sa­chenwürdi­gung oder einem sons­ti­gen sach­ver­halts­be­zo­ge­nen Denk- oder Über­le­gungs­feh­ler begründet ist oder auf man­geln­der Sach­ver­halts­aufklärung be­ruht. Ob ein me­cha­ni­sches Ver­se­hen oder ein die Be­rich­ti­gung nach § 129 AO aus­schließender Tat­sa­chen- oder Rechts­irr­tum vor­liegt, muss nach den Verhält­nis­sen des Ein­zel­falls und da­bei ins­be­son­dere nach der Ak­ten­lage be­ur­teilt wer­den. Da­bei han­delt es sich im We­sent­li­chen um eine Tat­frage; die re­vi­si­ons­recht­li­che Prüfung be­schränkt sich dar­auf, ob das FG im Rah­men der Ge­samtwürdi­gung von zu­tref­fen­den Kri­te­rien aus­ge­gan­gen ist, alle maßgeb­li­chen Be­weis­an­zei­chen in seine Be­ur­tei­lung ein­be­zo­gen und da­bei nicht ge­gen Denk­ge­setze oder Er­fah­rungssätze ver­stoßen hat. In­so­fern hatte das FG im Rah­men sei­ner Ge­samtwürdi­gung nicht alle maßgeb­li­chen ob­jek­ti­ven Umstände berück­sich­tigt.

Der vor­lie­gende Steu­er­fall war von zu­min­dest zwei Mit­ar­bei­tern des Fi­nanz­am­tes - zwei­fel­los dem Ver­an­la­gungs­sach­be­ar­bei­ter so­wie (mutmaßlich) der Be­ar­bei­te­rin der QSST - in­halt­lich geprüft und be­ar­bei­tet wor­den. Dies geht ein­deu­tig aus den Steu­er­ak­ten und den darin be­find­li­chen hand­schrift­li­chen Ver­mer­ken her­vor, die sich vom Schrift­bild her deut­lich un­ter­schei­den und zwei ver­schie­de­nen Per­so­nen zu­zu­ord­nen sind.  Das schließt das Vor­lie­gen ei­nes bloß me­cha­ni­schen Ver­se­hens und da­mit die An­wen­dung der Be­rich­ti­gungs­norm des § 129 AO aus.
 

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