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Steuerberatung

Zur Bestimmung der bewegten Lieferung in einem Reihengeschäft

BFH v. 11.3.2020 - XI R 18/18

Bei einem Rei­hen­ge­schäft mit drei Lie­fe­run­gen und vier Be­tei­lig­ten setzt die Zu­ord­nung der Ver­sen­dung zu der zwei­ten Lie­fe­rung ins­be­son­dere die Fest­stel­lung vor­aus, ob zwi­schen dem Er­st­ab­neh­mer und dem Zweit­ab­neh­mer die Über­tra­gung der Befähi­gung, wie ein Ei­gentümer über den Ge­gen­stand zu verfügen, statt­ge­fun­den hat, be­vor die Ver­sen­dung er­folgte.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin be­treibt ein Ein­zel­un­ter­neh­men. Im Sep­tem­ber 2012 wurde sie von der im Ver­ei­nig­ten König­reich (UK) ansässi­gen B Ltd. mit der Lie­fe­rung von Er­satz­tei­len für eine Ma­schine be­auf­tragt. Dem lag eine Be­stel­lung der Firma C Inc. aus den USA zu­grunde, wo­bei jene Be­stel­lung auf eine Be­stel­lung der Firma D S.A. aus Peru zurück­ging. Die Lie­fe­rung sollte un­mit­tel­bar von Deutsch­land nach Peru er­fol­gen. Im Ok­to­ber 2012 er­teilte die Kläge­rin der B Ltd. eine Ab­schlags­rech­nung über eine A-conto-Zah­lung i.H.v. rd. 30.000 €; Um­satz­steuer wurde nicht be­rech­net ("Tax 0 %"). Die B Ltd. zahlte den Be­trag in zwei Ra­ten. Im De­zem­ber 2012 fak­tu­rierte die B Ltd. ge­genüber der C Inc. (Lie­fe­rung der Er­satz­teile; rd. 77.000 USD ohne Um­satz­steuer).

Un­ter dem 19.12.2012 stellte die Kläge­rin der B Ltd. die Lie­fe­rung zum Preis von rd. 50.000 € in Rech­nung (Rest­be­trag nach der A-conto-Zah­lung: 20.000 €); Um­satz­steuer wurde nicht ge­son­dert aus­ge­wie­sen. Die Rech­nung ent­hielt viel­mehr die Zusätze: "Steu­er­freie Aus­fuhr­lie­fe­rung nach § 6 UsSTG i. V. mit § 4 Nr. 1 a UsSTG" und "Tax­free de­li­very", "Tax 0%", "Be­wegte Lie­fe­rung" und die Um­satz­steuer-Iden­ti­fi­ka­ti­ons­num­mer der Ab­neh­me­rin. Die B Ltd. zahlte den Rest­be­trag. Der Ehe­mann der Kläge­rin nahm we­gen des Trans­ports der Er­satz­teile Kon­takt mit der Spe­di­tion E, In­land, auf. In ei­ner E-Mail vom 20.12.2012 heißt es u.a.: "Wir benöti­gen das An­ge­bot für Ver­sen­dung un­ver­zollt und un­ver­steu­ert - Kos­ten zu Las­ten des Empfängers oder un­se­res Auf­trag­ge­bers in Eng­land. Für uns ist das eine - Be­wegte Lie­fe­rung - Steu­er­freie Aus­fuhr­lie­fe­rung nach § 6 UsSTG i. V. m. § 4 Nr. 1a UsSTG." Un­ter die­sem Da­tum er­stellte die Kläge­rin einen Lie­fer­schein Nr. 959/1212 (fünf Sei­ten) über die ein­zel­nen Teile. Am 3.1.2013 teilte die C Inc. der E mit, dass sie selbst als Ver­sen­der im Fracht­brief auf­geführt sein müsse. Alle Do­ku­mente soll­ten an die C Inc. adres­siert wer­den. Die Fracht sollte als vor­aus­be­zahlt aus­ge­zeich­net wer­den. Ein Bei­spiels­fracht­brief wurde als An­lage bei­gefügt.

Im Ja­nuar 2013 bat E die Kläge­rin in zwei E-Mails, ihr die aus­gefüllte Zoll­voll­macht zu­kom­men zu las­sen, da­mit das ABD (Aus­fuhr­be­gleit­do­ku­ment) für sie er­stellt wer­den könne; dem kam die Kläge­rin noch im Ja­nuar nach. Am 23.1.2013 wurde der Kläge­rin vom IWM Zoll, Dres­den, eine EORI-Num­mer er­teilt. Am 5.2.2013 teilte E der Kläge­rin mit, dass die Empfänger bis­lang noch keine Kos­ten bestätigt hätten. Da es sich um eine Ab-Werk-Lie­fe­rung handle, müsse sie sich schrift­lich die Kos­ten für den Trans­port si­chern, be­vor die Sen­dung ab­ge­holt und ver­schifft werde. Auch die Kos­ten für die Er­stel­lung der Aus­fuhr­be­gleit­do­ku­mente müss­ten bestätigt wer­den. Da die Ware nun ver­packt bei ei­ner Ver­pa­ckungs­firma in H (In­land) zur Ab­ho­lung be­reit stehe, sei Eile ge­bo­ten. E teilte der C Inc. mit, dass sie zum Ver­sand der Ware eine Ab­sen­der-Aus­fuh­rerklärung (Ship­per Ex­port De­cla­ra­tion) benötige. Da die C Inc. der Auf­fas­sung war, dass diese Pa­piere im­mer vom Verkäufer er­stellt würden, und sie von den USA aus nicht in der Lage sei, dies zu re­geln, wurde die B Ltd. ge­be­ten, mit der Kläge­rin Kon­takt auf­zu­neh­men. Dar­auf­hin in­for­mierte die B Ltd. (durch X) die Kläge­rin und stellte noch ein­mal klar, dass es sich bei dem von der B Ltd. ab­ge­rech­ne­ten Be­trag um einen "Ab Werk"-Preis ge­han­delt habe (ohne Ver­sand­kos­ten).

Im Fe­bruar 2013 bestätigte E den Auf­trag. Im März 2013 er­hielt die Kläge­rin von E den Aus­gangs­ver­merk für die streit­ge­genständ­li­che Lie­fe­rung nach Peru vom 2.3.2013. Dort ist die Kläge­rin als Ab­sen­der der Sen­dung und als An­mel­der auf­geführt. Eine Rech­nung der E an die Kläge­rin exis­tiert nicht. Die Fracht­kos­ten wur­den von der C Inc. ge­tra­gen, die E mit der Ab­ho­lung der Er­satz­teile in H und dem Trans­port nach Peru be­auf­tragt hat. Im April 2013 wurde über das Vermögen der B Ltd. in UK das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net. Die B Ltd. wurde auf­gelöst. In ih­rer Um­satz­steu­er­erklärung für das Jahr 2012 erklärte die Kläge­rin eine fest­zu­set­zende Um­satz­steuer i.H.v. rd. 45.000 € und steu­er­freie in­ner­ge­mein­schaft­li­che Lie­fe­run­gen i.H.v. rd. 75.000 €. Eine Um­satz­steuer-Son­derprüfung kam zu dem Er­geb­nis, dass es sich bei der Lie­fe­rung an die B Ltd. um eine Lie­fe­rung in einem Rei­hen­ge­schäft handle und dass die Ver­sen­dung der Ware nur der Lie­fe­rung an die C Inc. oder an den Ab­neh­mer in Peru zu­ge­ord­net wer­den könne, weil die C Inc. die Wa­ren ver­sen­det hätte. In bei­den Fällen sei die Lie­fe­rung der Kläge­rin an die B Ltd. die ru­hende Lie­fe­rung, die in Deutsch­land steu­er­bar und steu­er­pflich­tig sei. Die erklärten in­ner­ge­mein­schaft­li­chen (steu­er­freien) Umsätze seien da­her um 50.000 € zu min­dern und die steu­er­pflich­ti­gen Umsätze um 43.000 € zu erhöhen. Das Fi­nanz­amt schloss sich die­ser Auf­fas­sung an und setzte die Um­satz­steuer 2012 auf rd. 53.000 € fest.

Das FG wies die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage ab. Die Re­vi­sion der Kläge­rin hatte vor dem BFH kei­nen Er­folg.

Die Gründe:
Die Auf­fas­sung des FG, die Lie­fe­rung von Er­satz­tei­len durch die Kläge­rin im Rah­men ei­nes grenzüber­schrei­ten­den Rei­hen­ge­schäfts un­ter­liege der Um­satz­steuer, hält den An­grif­fen der Re­vi­sion stand.

Schließen meh­rere Un­ter­neh­mer über den­sel­ben Ge­gen­stand Um­satz­ge­schäfte ab und ge­langt die­ser Ge­gen­stand bei der Beförde­rung oder Ver­sen­dung un­mit­tel­bar vom ers­ten Un­ter­neh­mer an den letz­ten Ab­neh­mer, ist nach § 3 Abs.6 Satz 5 UStG die Beförde­rung oder Ver­sen­dung des Ge­gen­stands nur ei­ner der Lie­fe­run­gen zu­zu­ord­nen. Ein sol­ches Rei­hen­ge­schäft ist auch bei Aus­fuhr­lie­fe­run­gen möglich. Die be­tei­lig­ten Un­ter­neh­mer führen da­bei meh­rere auf­ein­an­der fol­gende Lie­fe­run­gen aus. Für die in­ner­ge­mein­schaft­li­che Lie­fe­rung war be­reits ent­schie­den, dass es sich bei der Ver­schaf­fung der Verfügungs­macht und der Beförde­rung bzw. Ver­sen­dung in den an­de­ren Mit­glied­staat um zwei ver­schie­dene Tat­be­stands­merk­male han­delt, die ge­trennt von­ein­an­der zu prüfen sind. Für die Aus­fuhr­lie­fe­rung gilt nichts an­de­res.

In Be­zug auf die Ver­schaf­fung der Verfügungs­macht hat das FG zu­tref­fend an­ge­nom­men, dass die Kläge­rin eine Lie­fe­rung an die B Ltd. aus­geführt hat. Diese war be­reits im Streit­jahr er­folgt. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG un­ter­lie­gen der Um­satz­steuer u.a. Lie­fe­run­gen, die ein Un­ter­neh­mer im In­land ge­gen Ent­gelt im Rah­men sei­nes Un­ter­neh­mens ausführt. Lie­fe­run­gen ei­nes Un­ter­neh­mers sind gem. § 3 Abs. 1 UStG Lie­fe­run­gen, durch die er oder in sei­nem Auf­trag ein Drit­ter den Ab­neh­mer oder in des­sen Auf­trag einen Drit­ten befähigt, im ei­ge­nen Na­men über einen Ge­gen­stand zu verfügen (Ver­schaf­fung der Verfügungs­macht). Der uni­ons­recht­li­che Be­griff "Lie­fe­rung von Ge­genständen" be­zieht sich nicht auf die Ei­gen­tumsüber­tra­gung in den durch das an­wend­bare na­tio­nale Recht vor­ge­se­he­nen For­men; er um­fasst viel­mehr jede Über­tra­gung ei­nes körper­li­chen Ge­gen­stands durch eine Par­tei, die die an­dere Par­tei ermäch­tigt, über die­sen Ge­gen­stand fak­ti­sch so zu verfügen, als wäre sie sein Ei­gentümer. Der BFH um­schreibt die­sen Vor­gang als Über­tra­gung von Sub­stanz, Wert und Er­trag, ohne da­mit in­halt­lich von der Recht­spre­chung des EuGH ab­zu­wei­chen.

Auch wenn eine Lie­fe­rung also nicht zwangsläufig vor­aus­setzt, dass das Ei­gen­tum am Ge­gen­stand der Lie­fe­rung auf den Er­wer­ber über­geht, ist die Ver­schaf­fung der Verfügungs­macht in der Re­gel mit dem bürger­lich-recht­li­chen Ei­gen­tumsüberg­ang auf den Leis­tungs­empfänger ver­bun­den. Eine un­mit­tel­bare Zu­griffsmöglich­keit hin­ge­gen ist keine not­wen­dige Vor­aus­set­zung für das Vor­lie­gen ei­ner Lie­fe­rung, so dass eine Lie­fe­rung auch da­durch be­wirkt wer­den kann, dass der Lie­fer­ge­gen­stand in Voll­zug ei­ner auf Ei­gen­tumsüber­tra­gung ge­rich­te­ten Ver­ein­ba­rung durch Einräum­ung des mit­tel­ba­ren Be­sit­zes über­ge­ben wird. Außer­dem kann die für eine Lie­fe­rung not­wen­dige Ver­schaf­fung der Verfügungs­macht auch in der frei­wil­li­gen Überg­abe durch den Ei­gentümer an den Er­wer­ber zu se­hen sein. Dar­aus folgt, dass dem (ggf. Zweit-)Er­wer­ber Verfügungs­macht ver­schafft wird, wenn er den Ge­gen­stand ab­holt.

Im Streit­fall hat das FG zu­tref­fend ent­schie­den, dass die Kläge­rin der B Ltd. Verfügungs­macht an den Er­satz­tei­len ver­schafft hat, denn die B Ltd. hatte be­reits vor Be­ginn der phy­si­schen Wa­ren­be­we­gung im In­land (gem. § 3 Abs. 6 oder 7 UStG) von der Kläge­rin Verfügungs­macht er­hal­ten.Es lag auch keine steu­er­freie Aus­fuhr­lie­fe­rung vor. Die Steu­er­frei­heit der Aus­fuhr­lie­fe­rung nach § 4 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG setzt vor­aus, dass der Un­ter­neh­mer oder der Ab­neh­mer den Ge­gen­stand der Lie­fe­rung in das Dritt­lands­ge­biet, aus­ge­nom­men Ge­biete nach § 1 Abs. 3 UStG, befördert oder ver­sen­det hat. Aus dem ver­wen­de­ten Be­griff "ver­sandt" er­gibt sich je­weils, dass die Aus­fuhr ei­nes Ge­gen­stands durch­geführt wor­den und die Steu­er­be­frei­ung der Aus­fuhr­lie­fe­rung an­wend­bar ist, wenn das Recht, wie ein Ei­gentümer über die­sen Ge­gen­stand zu verfügen, auf den Er­wer­ber über­tra­gen wor­den ist, der Lie­fe­rant nach­weist, dass der Ge­gen­stand an einen Ort außer­halb der Union ver­sandt oder befördert wor­den ist und der Ge­gen­stand auf­grund die­ses Ver­sands oder die­ser Beförde­rung das Ho­heits­ge­biet der Union phy­si­sch ver­las­sen hat.

Bei­den Be­stim­mun­gen ge­mein­sam ist da­her, dass die Beförde­rung oder Ver­sen­dung durch den Lie­fe­rer oder den Ab­neh­mer (hier: die Kläge­rin oder die B Ltd.) er­folgt sein muss, so dass geprüft wer­den muss, wem die Beförde­rung oder Ver­sen­dung der Ware zu­zu­ord­nen ist. Vor­lie­gend ist das FG im Er­geb­nis zu Recht da­von aus­ge­gan­gen, dass die Vor­aus­set­zun­gen für eine steu­er­freie Aus­fuhr­lie­fe­rung der Kläge­rin an die B Ltd. nicht vor­la­gen. Denn die Steu­er­be­frei­ungs­vor­schrift des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG ist nicht an­wend­bar, weil die Er­satz­teile nicht auf Ver­an­las­sung der Kläge­rin als leis­tende Un­ter­neh­me­rin befördert oder ver­sen­det wor­den sind.

Aber auch die Vor­aus­set­zung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG, dass der ausländi­sche Ab­neh­mer den Ge­gen­stand der Lie­fe­rung in das Dritt­lands­ge­biet befördert oder ver­sen­det hat, la­gen hier nicht vor; denn nicht die B Ltd., son­dern die C Inc. Hatte den Ge­gen­stand ver­sen­det. Die Lie­fe­rung der Kläge­rin an die B Ltd. war auch nicht als in­ner­ge­mein­schaft­li­che Lie­fe­rung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i.V.m. § 6a UStG um­satz­steu­er­frei. Eine - gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG um­satz­steu­er­freie - in­ner­ge­mein­schaft­li­che Lie­fe­rung setzt nämlich nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG u.a. vor­aus, dass der Un­ter­neh­mer oder der Ab­neh­mer u.a. den Ge­gen­stand der Lie­fe­rung in das übrige Ge­mein­schafts­ge­biet befördert oder ver­sen­det hat. Das phy­si­sche Ver­brin­gen der Ge­genstände von einem Mit­glied­staat in einen an­de­ren Mit­glied­staat ist für die steu­er­freie in­ner­ge­mein­schaft­li­che Lie­fe­rung nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG eine un­ver­zicht­bare Vor­aus­set­zung. Diese Vor­aus­set­zun­gen la­gen im Streit­fall nicht vor, weil der Lie­fer­ge­gen­stand nicht in das übrige Ge­mein­schafts­ge­biet befördert oder ver­sen­det wor­den ist, son­dern nach Peru, einem Dritt­land.

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