Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Inhaberin eines mit Wirkung für Deutschland erteilten europäischen Patents, das ein Verfahren zur Verringerung des Dampfdrucks von ethanolhaltigen Motortreibstoffen für funkengezündete Verbrennungsmotoren betrifft. Die Klägerin, die aus dem Streitpatent in Anspruch genommen wird, hat dieses mit ihrer Nichtigkeitsklage in vollem Umfang angegriffen. Das BPatG erklärte das Streitpatent für nichtig, erlegte der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auf und erklärte das Urteil gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages für vorläufig vollstreckbar; den Streitwert setzte das BPatG auf 30 Mio. € fest. Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.
Die Klägerin hat auf der Grundlage des angefochtenen Urteils Kostenfestsetzungsbeschlüsse über rd. 870.000 € und 90.000 € erwirkt und betreibt daraus die Zwangsvollstreckung. In diesem Zusammenhang hat sie gegenüber den Inlandsvertretern der Beklagten i.S.v. § 845 ZPO die Pfändung des deutschen Teils des Streitpatents angekündigt. Die Beklagte beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil und den von der Klägerin erwirkten Kostenfestsetzungsbeschlüssen ohne Sicherheitsleistung einzustellen. Sie macht geltend, durch eine Vollstreckung bis zur Höhe der titulierten Forderungen entstünden ihr außergewöhnliche Nachteile bis hin zur Vernichtung ihrer Existenz. Die Klägerin tritt dem Antrag entgegen.
Der BGH wies den Antrag zurück.
Die Gründe:
Das Vorbringen der Beklagten rechtfertigt die sofortige Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung nach den gesamten Umständen nicht.
Ein durch die Vollstreckung drohender Verlust der wirtschaftlichen Existenzgrundlage des Schuldners kann im Ausgangspunkt zwar als nicht zu ersetzender Nachteil i.S.d. §§ 707, 719 ZPO anzuerkennen sein. Es mag auch nicht von der Hand zu weisen sein, dass die Beklagte sich in einer entsprechenden wirtschaftlichen Situation befindet. Fraglich kann allerdings sein, ob dies nicht unabhängig von der Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil gilt. Im Geschäftsjahr 2017 standen einem Aktivvermögen von nicht ganz 50.000 £ Verbindlichkeiten von rd. 244.000 £ gegenüber. Die Verbindlichkeiten der Beklagten beliefen sich also auf rund das Fünffache ihrer Aktiva. Im Geschäftsjahr 2018 sollen die Verhältnisse nicht wesentlich anders liegen. Nach ihrem eigenen Vorbringen verfügt die Beklagte, vom Streitpatent abgesehen, über keine nennenswerten Bar- und Buch- bzw. Sachvermögenswerte, die sie für Leistungen in einer auch nur annähernden Größenordnung der titulierten Forderungen einsetzen könnte.
Danach könnten die Grundsätze der BGH-Rechtsprechung zur Kostenbegünstigung nach § 144 PatG eines nicht aktiv am Wirtschaftsleben beteiligten Unternehmens, das nicht über nennenswerte Vermögensgegenstände verfügt, entsprechend anzuwenden sein. Danach wird ein solches Unternehmen in seiner wirtschaftlichen Lage nicht zusätzlich i.S.v. § 144 PatG gefährdet, wenn es mit einer Prozesskostenforderung belastet wird, die angesichts seiner Vermögenssituation ohnehin nicht beitreibbar ist. Dies bedarf indes keiner abschließenden Beurteilung, weil die existenzielle Gefährdung zwar neben dem Unvermögen des Schuldners, Sicherheit zu leisten, tatbestandliche Voraussetzung dafür ist, die Zwangsvollstreckung überhaupt ohne Sicherheitsleistung einzustellen, die Frage, ob dies zu geschehen hat, aber, wie ausgeführt, eine umfassende Interessenabwägung erfordert, die hier nicht zugunsten der Beklagten ausfällt.
Wenn sich im Unternehmen der Beklagten allein das Streitpatent für den Zugriff in der Zwangsvollstreckung anbietet, erscheint sie vollstreckungsrechtlich nicht deshalb als schutzwürdig, weil es sich um den einzigen werthaltigen Gegenstand handelt, über den ihr Geschäftsbetrieb verfügt. Ist ein Unternehmen in einer solchen Weise speziell auf die Verwertung eines einzigen Schutzrechts ausgerichtet - die Beklagte spricht selbst von der Auslizenzierung des Streitpatents als von ihrem "Geschäftsmodell" erschiene es unangemessen und wäre mit den Grundsätzen der gesetzlichen Regelung unvereinbar, sie von den Risiken einer solchen Unternehmensausrichtung in der Weise freizustellen, dass dieser einzige Vermögenswert jedem Zugriff im Wege der vorläufigen Vollstreckung entzogen wird.
Dies gilt auch und gerade dann, wenn es, wie hier, um die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten geht. Die Beklagte gibt an, die angefallenen Gerichtskosten über Drittmittel zu finanzieren. Dies mag ihrem Interesse an der Weiterführung der gerichtlichen Auseinandersetzung über den rechtlichen Bestand des Streitpatents dienen; die Klägerin hat demgegenüber aber ein schutzwürdiges Interesse daran, die Erstattung der von ihr bereits aufgebrachten Kosten sicherzustellen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist es regelmäßig nicht angemessen, einen Patentinhaber, der eine Vereinbarung über die Finanzierung von Prozesskosten getroffen hat, die ihm und dem finanzierenden Dritten alle mit dem Rechtsstreit verbundenen Chancen sichert, das Kostenrisiko eines Nichtigkeitsverfahrens wirtschaftlich aber der Gegenseite auferlegt, von diesem Kostenrisiko durch eine Kostenbegünstigung gem. § 144 PatG noch weitergehend zu entlasten. Auch in Anlehnung an diese Grundsätze erscheint es nicht interessengerecht, der Klägerin, die in erster Instanz obsiegt hat, die Vollstreckung wegen der bisherigen Kosten ohne Sicherheit zu verwehren.
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