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Zur Haftung für unternehmerische Fehlentscheidungen des Insolvenzverwalters

BGH 16.3.2017, IX ZR 253/15

Ob der In­sol­venz­ver­wal­ter für eine un­ter­neh­me­ri­sche Fehl­ent­schei­dung haf­tet, ist am In­sol­venz­zweck der bestmögli­chen Be­frie­di­gung der In­sol­venzgläubi­ger un­ter Berück­sich­ti­gung der von den In­sol­venzgläubi­gern ge­trof­fe­nen Ver­fah­rens­ent­schei­dun­gen zu mes­sen. Der In­sol­venz­ver­wal­ter darf keine Ge­schäft­schance persönlich nut­zen, die auf­grund der Umstände des je­wei­li­gen Fal­les dem von ihm ver­wal­te­ten Schuld­ner­un­ter­neh­men zu­zu­ord­nen ist.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger ist seit Juni 2011 Ver­wal­ter in dem be­reits An­fang 2000 eröff­ne­ten In­sol­venz­ver­fah­ren über das Vermögen der Kom­mu­na­len Woh­nungs- und Bau­ge­sell­schaft L. mbH (Schuld­ne­rin). Er nimmt den Be­klag­ten, sei­nen Vorgänger im Amt des In­sol­venz­ver­wal­ters, auf Scha­dens­er­satz in An­spruch. Die Schuld­ne­rin ist ein kom­mu­na­les Wohn­bau­un­ter­neh­men. Vor der Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens hatte sie einen Wohn­block in L in eine Woh­nungs­ei­gen­tums­an­lage ver­wan­delt und ei­nige Woh­nun­gen ver­kauft. Ver­kauft wurde u.a. die Woh­nung Nr. 24. Der Kauf­preis be­trug 70.000 DM. Die Schuld­ne­rin war Ver­wal­te­rin der Woh­nungs­ei­gen­tums­an­lage und blieb dies auch nach der Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens. Im No­vem­ber 2007 be­schloss die Gläubi­ger­ver­samm­lung die Li­qui­da­tion der Schuld­ne­rin so­wie die bestmögli­che Ver­wer­tung des Im­mo­bi­li­en­be­stan­des. Der Ge­schäfts­be­trieb sollte vorläufig bis zur Ver­wer­tung des Im­mo­bi­li­en­be­stan­des fort­geführt wer­den.

Im Jahre 2008 woll­ten die Käufer der Woh­nung Nr. 24 ihre Woh­nung veräußern. Sie wand­ten sich an den Ge­schäftsführer der Schuld­ne­rin. Ob sie die Woh­nung, wie der Kläger be­haup­tet, zunächst der Schuld­ne­rin oder dem Be­klag­ten in sei­ner Ei­gen­schaft als In­sol­venz­ver­wal­ter an­bo­ten, ist strei­tig. Mit no­ta­ri­el­lem Ver­trag vom 17.12.2008 kaufte der Be­klagte persönlich die Woh­nung zu einem Kauf­preis von 3.000 €. Als In­sol­venz­ver­wal­ter der Schuld­ne­rin in ih­rer Ei­gen­schaft als WEG-Ver­wal­te­rin stimmte er der Veräußerung zu. Als In­sol­venz­ver­wal­ter der Schuld­ne­rin in ih­rer Ei­gen­schaft als frühere Ei­gentüme­rin der Woh­nung be­wil­ligte er die Löschung ei­ner Rück­auf­las­sungs­vor­mer­kung. Die Woh­nung wurde von der Schuld­ne­rin ver­wal­tet und ver­mie­tet.

Mit Wir­kung zum 1.12.2013 veräußerte der zwi­schen­zeit­lich zum In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellte Kläger den ge­sam­ten Im­mo­bi­li­en­be­stand der Schuld­ne­rin an die eine GmbH & Co KG. Die Er­wer­be­rin wandte sich an den Be­klag­ten und un­ter­brei­tete ihm ein An­ge­bot, nach wel­chem sie die Woh­nung zu einem Preis von 10.000 € an­kau­fen wollte. Später bot sie 45.000 €; zu­gleich sollte ein schwe­ben­der Rechts­streit zwi­schen ihr und dem Be­klag­ten be­en­det wer­den. Zu ei­ner Ei­ni­gung kam es nicht. Der Be­klagte be­hielt die Woh­nung. Vor­lie­gend ver­langt der Kläger ins­be­son­dere die Über­tra­gung der Woh­nung Zug um Zug ge­gen Zah­lung von 3.000 €, hilfs­weise Zah­lung von Scha­dens­er­satz i.H.v. 42.000 €. Eben­falls ver­langt der Kläger Er­stat­tung des Miet­aus­falls für eine an­dere Woh­nung, die nicht ver­mie­tet wor­den sei, weil der Be­klagte seine ei­gene Woh­nung be­vor­zugt be­han­delt habe, so­wie Er­stat­tung des Min­der­erlöses hin­sicht­lich des gan­zen Woh­nungs­be­stan­des.

LG und OLG wie­sen die Klage ab. Auf die Re­vi­sion des Klägers hob der BGH das Be­ru­fungs­ur­teil auf und ver­wies die Sa­che zur neuen Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Nach dem re­vi­si­ons­recht­lich zu­grunde zu le­gen­den Vor­brin­gen des Klägers hat sich der Be­klagte da­durch, dass er die ihm als Ver­wal­ter zu einem äußerst ge­rin­gen Preis an­ge­bo­tene Woh­nung nicht für die Masse er­wor­ben hat, nach § 60 InsO scha­dens­er­satz­pflich­tig ge­macht.

Der In­sol­venz­ver­wal­ter ist al­len Be­tei­lig­ten zum Scha­dens­er­satz ver­pflich­tet, wenn er schuld­haft die Pflich­ten ver­letzt, die ihm nach der InsO ob­lie­gen. Zu sei­nen Pflich­ten gehört es, das zur In­sol­venz­masse gehörende Vermögen zu be­wah­ren und ord­nungs­gemäß zu ver­wal­ten. Diese Pflicht hat sich am ge­setz­li­chen Leit­bild des or­dent­li­chen und ge­wis­sen­haf­ten In­sol­venz­ver­wal­ters aus­zu­rich­ten, wel­ches an die han­dels- und ge­sell­schafts­recht­li­chen Sorg­falts­an­for­de­run­gen an­ge­lehnt ist, aber den Be­son­der­hei­ten des In­sol­venz­ver­fah­rens Rech­nung zu tra­gen hat. Maßstab al­ler un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dun­gen des In­sol­venz­ver­wal­ters im Rah­men ei­ner Be­triebs­fortführung ist der In­sol­venz­zweck der bestmögli­chen ge­mein­schaft­li­chen Be­frie­di­gung der In­sol­venzgläubi­ger so­wie das von den Gläubi­gern ge­mein­schaft­lich be­schlos­sene Ver­fah­rens­ziel Ab­wick­lung des Un­ter­neh­mens, Veräußerung oder In­sol­venz­plan als Mit­tel der Zweck­er­rei­chung.

Vor­lie­gend han­delte es sich um ein Ge­schäft, das die Masse ohne son­der­li­chen Auf­wand und ohne großes Ri­siko er­heb­lich ver­mehrt hätte. Auch un­ter An­le­gung ei­nes großzügi­gen Maßsta­bes an un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dun­gen des In­sol­venz­ver­wal­ters, der in ei­ner für das Un­ter­neh­men schwie­ri­gen Lage eine von vie­len, teils un­be­herrsch­ba­ren Fak­to­ren abhängige Pro­gno­se­ent­schei­dung zu tref­fen hat, und des ihm zu­kom­men­den wei­ten Er­mes­sens­spiel­raums, ist die Ent­schei­dung des Be­klag­ten, die Woh­nung zu dem von ihm ge­zahl­ten Preis nicht für die Masse zu er­wer­ben, mit ei­ner or­dent­li­chen und ge­wis­sen­haf­ten In­sol­venz­ver­wal­tung nicht zu ver­ein­ba­ren. Ein wei­te­rer zum Scha­dens­er­satz nach § 60 InsO ver­pflich­ten­der Ver­stoß ge­gen die Pflich­ten ei­nes or­dent­lich und ge­wis­sen­haft han­deln­den In­sol­venz­ver­wal­ters liegt darin, dass der Be­klagte ei­gennützig, ohne Berück­sich­ti­gung der In­ter­es­sen der In­sol­venz- und Mas­segläubi­ger und der­je­ni­gen der In­sol­venz­schuld­ne­rin, ein vor­teil­haf­tes Ge­schäft an sich ge­zo­gen hat, wel­ches im en­gen Zu­sam­men­hang mit dem Ge­schäfts­be­trieb der In­sol­venz­schuld­ne­rin stand und da­her die­ser zu­zu­ord­nen war.

Un­ter wel­chen tatsäch­li­chen Vor­aus­set­zun­gen eine Ge­schäft­schance der Masse in der Weise zu­ge­ord­net ist, dass der Ver­wal­ter sie persönlich nicht mehr wahr­neh­men darf, ist eine Frage des Ein­zel­falls. Nach der Recht­spre­chung des BGH zur ge­sell­schafts­recht­li­chen Ge­schäft­schan­cen­lehre liegt eine Ge­schäft­schance der Ge­sell­schaft vor, wenn diese den Ver­trag be­reits ge­schlos­sen oder je­den­falls so­weit vor­be­rei­tet hat, dass der endgültige Ver­trags­schluss nur noch eine Form­sa­che ist. Glei­ches gilt, wenn der Ge­schäfts­lei­ter na­mens der Ge­sell­schaft in Ver­trags­ver­hand­lun­gen ein­ge­tre­ten ist oder wenn ihm ein vor­teil­haf­tes An­ge­bot nur mit Rück­sicht auf seine Stel­lung un­ter­brei­tet wor­den ist. Er­fasst sind schließlich auch Ge­schäft­schan­cen, die im Zu­sam­men­hang mit der Ge­schäftstätig­keit der Ge­sell­schaft ste­hen. Das gilt für den In­sol­venz­ver­wal­ter, der das Un­ter­neh­men des Schuld­ners fortführt, in glei­cher Weise.

Der Er­werb der Woh­nung Nr. 24 gehörte zum Ge­schäfts­feld des Schuld­ner­un­ter­neh­mens. Die Woh­nung ist dem Ge­schäftsführer der Schuld­ne­rin an­ge­bo­ten wor­den, wel­cher für die In­sol­venz­ver­wal­tung tätig war. Es gab be­reits einen Ver­trags­ent­wurf, der den Be­klag­ten in sei­ner Ei­gen­schaft als In­sol­venz­ver­wal­ter als Käufer aus­wies. Die Woh­nung wäre an ihn ver­kauft wor­den, wenn er das Ge­schäft nicht persönlich an sich ge­zo­gen hätte. Da das Schuld­ner­un­ter­neh­men bis zur Veräußerung des Woh­nungs­be­stan­des fort­geführt wer­den sollte, stand der Li­qui­da­ti­ons­be­schluss der Gläubi­ger­ver­samm­lung dem An­kauf nicht ent­ge­gen.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf den Web­sei­ten des BGH veröff­ent­licht.
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