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Steuerberatung

Zur rückwirkenden Festsetzung von Kindergeld

Niedersächsisches FG 25.9.2018, 8 K 95/18

§ 66 Abs. 3 EStG ist im Fest­set­zungs­ver­fah­ren, nicht im Er­he­bungs­ver­fah­ren zu berück­sich­ti­gen. Wird Kin­der­geld ent­ge­gen § 66 Abs. 3 EStG für Zeiträume, die mehr als sechs Mo­nate vor dem Mo­nat der An­trags­stel­lung lie­gen, rück­wir­kend fest­ge­setzt, steht § 66 Abs. 3 EStG der Aus­zah­lung des ein­mal fest­ge­setz­ten Kin­der­gel­des nicht ent­ge­gen.

Der Sach­ver­halt:

Der Kläger ist Mit­ar­bei­ter ei­ner Körper­schaft des öff­ent­li­chen Rechts. Er stellte bei der Fi­nanz­behörde einen Kin­der­geld­an­trag für sein Kind für den Zeit­raum Au­gust 2014 bis Ja­nuar 2018. Das An­trags­schrei­ben ist auf den 21.12.2017 da­tiert und an die Fa­mi­li­en­kasse ge­rich­tet. Es wurde mit dem Ein­gangs­stem­pel der Fa­mi­li­en­kasse vom 2.1.2018 ver­se­hen und am 3.1.2018 ein­ge­scannt. Das Kin­der­geld für Juli bis De­zem­ber 2017 i.H.v. 1.346 € wurde von der Fi­nanz­behörde durch Be­scheid vom 17.1.2018. fest­ge­setzt und um­ge­hend aus­ge­zahlt.

Mit dem streit­ge­genständ­li­chen Be­scheid vom 12.3.2018 setzte die Fi­nanz­behörde auch das Kin­der­geld für Au­gust 2014 bis Juni 2017 i.H.v. ins­ge­samt 6.608 € fest. Gleich­zei­tig verfügte sie un­ter der Über­schrift Nach­zah­lung, das sich hier­aus keine Nach­zah­lung des Kin­der­gel­des er­gebe (Nicht­aus­zah­lungs­verfügung) mit der Begründung, dass auf Grund der ge­setz­li­chen Ände­rung des § 66 Abs. 3 EStG Anträge, die nach dem 31.12.2017 ein­gin­gen, rück­wir­kend nur noch zu ei­ner Nach­zah­lung für die letz­ten sechs Mo­nate vor Ein­gang des An­trags bei der Fa­mi­li­en­kasse führen.

Der Kläger legte ge­gen die Nicht­aus­zah­lungs­verfügung Ein­spruch ein. Die­ser wurde als un­begründet zurück­ge­wie­sen. Der Kläger er­hob Klage auf Auf­he­bung der Nicht­aus­zah­lungs­verfügung. Er machte gel­tend, die An­trags­un­ter­la­gen am 22.12.2017 mit der Dienst­post zur Fi­nanz­behörde ge­schickt zu ha­ben. Der Ein­gang sei dort of­fen­sicht­lich verspätet er­fasst wor­den. § 66 Abs. 3 EStG sei da­her nicht an­wend­bar. Die Fi­nanz­behörde hin­ge­gen ver­weist auf die An­wend­bar­keit der Vor­schrift, da der An­trag am 2.1.2018 bei ihr ein­ge­gan­gen sei.

Die Klage hatte vor dem FG Er­folg. Die Re­vi­sion wurde we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung zu­ge­las­sen.

Die Gründe:

§ 66 Abs. 3 EStG steht der Aus­zah­lung des be­standskräftig fest­ge­setz­ten Kin­der­geld­an­spruchs des Kläger nicht ent­ge­gen. Gem. § 66 Abs. 3 EStG wird das Kin­der­geld rück­wir­kend nur für die letz­ten sechs Mo­nate vor Be­ginn des Mo­nats ge­zahlt, in dem der An­trag auf Kin­der­geld ein­ge­gan­gen ist.

§ 66 Abs. 3 EStG ist an­wend­bar, da der Kin­der­geld­an­trag des Klägers erst nach dem 31.12.2017 ein­ge­gan­gen ist. Der An­trag ist erst am 2.1.2018 bei der Fi­nanz­behörde ein­ge­gan­gen. Dies er­gibt sich aus dem Ein­gangs­stem­pel. Nach ständi­ger höchstrich­ter­li­cher Recht­spre­chung kommt dem Ein­gangs­tem­pel ei­ner Behörde als öff­ent­li­cher Ur­kunde ein ho­her Be­weis­wert zu. Er er­bringt i.d.R. den vollen Be­weis des Ein­gangs­da­tums ei­nes Schriftstücks. Der Ge­gen­be­weis der Un­rich­tig­keit er­for­dert den vollen Nach­weis ei­nes an­de­ren Ge­sche­hens­ab­laufs. Bloße Zwei­fel an der Rich­tig­keit rei­chen nicht aus. Der Kläger hat den Ge­gen­be­weis nicht geführt.

Je­doch bie­tet § 66 Abs. 3 EStG keine Rechts­grund­lage dafür, dem Kläger die Aus­zah­lung sei­nes be­reits wirk­sam und be­standskräftig fest­ge­setz­ten Kin­der­geld­an­spruchs zu ver­wei­gern. Auch im Kin­der­geld­recht ist zwi­schen dem Fest­set­zungs- und Er­he­bungs­ver­fah­ren zu un­ter­schei­den. Da § 66 Abs. 3 EStG dem Fest­set­zungs- und nicht dem Er­he­bungs­ver­fah­ren zu­zu­ord­nen ist, hat es die Fi­nanz­behörde versäumt, § 66 Abs. 1 EStG be­reits im Fest­set­zungs­ver­fah­ren zu berück­sich­ti­gen. Die Fi­nanz­behörde ist zwar da­mit der vom Bun­des­zen­tral­amt für Steu­ern her­aus­ge­ge­be­nen Dienst­an­wei­sung zum Kin­der­geld nach dem Ein­kom­men­steu­er­ge­setz in der Fas­sung vom 10.7.2018 ge­folgt. Auch im Schrift­tum wird da­von aus­ge­gan­gen, dass die Vor­schrift je­den­falls nach dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers dem Er­he­bungs­ver­fah­ren zu­zu­ord­nen sein soll. Der Ge­setz­ge­ber­wille, die Re­ge­lung dem Er­he­bungs­ver­fah­ren zu­zu­ord­nen, ist aus der Ge­set­zes­begründung je­doch ein­deu­tig nicht er­kenn­bar.

Der BFH ver­steht die Vor­schrift hin­ge­gen als Re­ge­lung, die be­reits im Fest­set­zungs­ver­fah­ren zu berück­sich­ti­gen ist. Be­reits der Wort­laut ord­net die Re­ge­lung dem Fest­set­zungs­ver­fah­ren zu. Ge­zahlt wird als fest­ge­setzt aus­ge­legt, wo­hin­ge­gen aus­ge­zahlt das Er­he­bungs­ver­fah­ren be­trifft. Die Ge­set­zes­sys­te­ma­tik spricht eben­falls für eine Zu­ord­nung zum Fest­set­zungs­ver­fah­ren, denn in­halt­lich und nach sei­ner Stel­lung im Ge­setz ist § 66 Abs. 3 EStG eine Ein­schränkung des § 66 Abs. 2 EStG, der un­strei­tig dem Fest­set­zungs­ver­fah­ren zu­ge­ord­net ist. Schließlich spricht auch die Ge­setz­ge­bungs­his­to­rie für eine Zu­ord­nung zum Fest­set­zungs­ver­fah­ren. Die in der Vorgänger­reg­lung Sechs­mo­nats­frist wurde vom BFH als eine an­spruchs­ver­nich­tende Aus­schluss­frist aus­ge­legt.

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