Der Sachverhalt:
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 12.3.2018 setzte die Finanzbehörde auch das Kindergeld für August 2014 bis Juni 2017 i.H.v. insgesamt 6.608 € fest. Gleichzeitig verfügte sie unter der Überschrift Nachzahlung, das sich hieraus keine Nachzahlung des Kindergeldes ergebe (Nichtauszahlungsverfügung) mit der Begründung, dass auf Grund der gesetzlichen Änderung des § 66 Abs. 3 EStG Anträge, die nach dem 31.12.2017 eingingen, rückwirkend nur noch zu einer Nachzahlung für die letzten sechs Monate vor Eingang des Antrags bei der Familienkasse führen.
Der Kläger legte gegen die Nichtauszahlungsverfügung Einspruch ein. Dieser wurde als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger erhob Klage auf Aufhebung der Nichtauszahlungsverfügung. Er machte geltend, die Antragsunterlagen am 22.12.2017 mit der Dienstpost zur Finanzbehörde geschickt zu haben. Der Eingang sei dort offensichtlich verspätet erfasst worden. § 66 Abs. 3 EStG sei daher nicht anwendbar. Die Finanzbehörde hingegen verweist auf die Anwendbarkeit der Vorschrift, da der Antrag am 2.1.2018 bei ihr eingegangen sei.
Die Klage hatte vor dem FG Erfolg. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Die Gründe:
§ 66 Abs. 3 EStG steht der Auszahlung des bestandskräftig festgesetzten Kindergeldanspruchs des Kläger nicht entgegen. Gem. § 66 Abs. 3 EStG wird das Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats gezahlt, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist.
§ 66 Abs. 3 EStG ist anwendbar, da der Kindergeldantrag des Klägers erst nach dem 31.12.2017 eingegangen ist. Der Antrag ist erst am 2.1.2018 bei der Finanzbehörde eingegangen. Dies ergibt sich aus dem Eingangsstempel. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung kommt dem Eingangstempel einer Behörde als öffentlicher Urkunde ein hoher Beweiswert zu. Er erbringt i.d.R. den vollen Beweis des Eingangsdatums eines Schriftstücks. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit erfordert den vollen Nachweis eines anderen Geschehensablaufs. Bloße Zweifel an der Richtigkeit reichen nicht aus. Der Kläger hat den Gegenbeweis nicht geführt.
Jedoch bietet § 66 Abs. 3 EStG keine Rechtsgrundlage dafür, dem Kläger die Auszahlung seines bereits wirksam und bestandskräftig festgesetzten Kindergeldanspruchs zu verweigern. Auch im Kindergeldrecht ist zwischen dem Festsetzungs- und Erhebungsverfahren zu unterscheiden. Da § 66 Abs. 3 EStG dem Festsetzungs- und nicht dem Erhebungsverfahren zuzuordnen ist, hat es die Finanzbehörde versäumt, § 66 Abs. 1 EStG bereits im Festsetzungsverfahren zu berücksichtigen. Die Finanzbehörde ist zwar damit der vom Bundeszentralamt für Steuern herausgegebenen Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz in der Fassung vom 10.7.2018 gefolgt. Auch im Schrifttum wird davon ausgegangen, dass die Vorschrift jedenfalls nach dem Willen des Gesetzgebers dem Erhebungsverfahren zuzuordnen sein soll. Der Gesetzgeberwille, die Regelung dem Erhebungsverfahren zuzuordnen, ist aus der Gesetzesbegründung jedoch eindeutig nicht erkennbar.
Der BFH versteht die Vorschrift hingegen als Regelung, die bereits im Festsetzungsverfahren zu berücksichtigen ist. Bereits der Wortlaut ordnet die Regelung dem Festsetzungsverfahren zu. Gezahlt wird als festgesetzt ausgelegt, wohingegen ausgezahlt das Erhebungsverfahren betrifft. Die Gesetzessystematik spricht ebenfalls für eine Zuordnung zum Festsetzungsverfahren, denn inhaltlich und nach seiner Stellung im Gesetz ist § 66 Abs. 3 EStG eine Einschränkung des § 66 Abs. 2 EStG, der unstreitig dem Festsetzungsverfahren zugeordnet ist. Schließlich spricht auch die Gesetzgebungshistorie für eine Zuordnung zum Festsetzungsverfahren. Die in der Vorgängerreglung Sechsmonatsfrist wurde vom BFH als eine anspruchsvernichtende Ausschlussfrist ausgelegt.
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