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Zur Steuerbefreiung von notärztlichen Bereitschaftsdiensten

Niedersächsisches FG v. 19.11.2019 - 5 K 193/18

Reine ärzt­li­che Be­reit­schafts­dienste, wel­che da­durch ge­kenn­zeich­net sind, dass sich ein Arzt zur Si­cher­stel­lung der notärzt­li­chen Be­hand­lung in einem Land­kreis je­der­zeit zum Ein­satz be­reithält, sind als Heil­be­hand­lun­gen ein­zu­stu­fen, denn der­ar­tige Dienste sind für notärzt­li­che Be­hand­lun­gen un­erläss­lich und gehören zum ty­pi­schen Be­rufs­bild ei­nes Arz­tes. Die Über­nahme der­ar­ti­ger Be­reit­schafts­dienste ist da­her nicht etwa nur Vor­aus­set­zung für eine ge­ge­be­nen­falls er­for­der­li­che Not­fall­be­hand­lung, son­dern sie dient selbst der Be­hand­lung ei­ner Krank­heit oder Ge­sund­heitsstörung und wird da­her von § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG mit um­fasst.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger ist als selbständi­ger All­ge­mein­me­di­zi­ner und Ho­no­rar­not­arzt tätig. 2010 ver­pflich­tete er sich im Ret­tungs­dienst als Lei­ten­der Not­arzt mit­zu­ar­bei­ten. Die Si­cher­stel­lung der notärzt­li­chen Ver­sor­gung er­folgte durch einen Ver­trag zwi­schen dem Land­kreis (Träger des Ret­tungs­diens­tes) und Frau X (Not­arzt-Ver­trags­part­ne­rin). X erhält für die notärzt­li­che Ver­sor­gung, ein­schließlich al­ler Ne­ben­leis­tun­gen einen Pau­schal­be­trag. Ein­satz­abhängige Vergütun­gen oder wei­tere Er­stat­tun­gen wer­den nicht ge­leis­tet. Um die­sen Ver­trag zu erfüllen, setzte X an­dere Notärzte ein, so auch den Kläger, mit dem sie 2008 einen Ho­no­rar­ver­trag über eine freie Mit­ar­beit als Not­arzt ab­schloss.

Der Not­arzt wird in Alar­mie­rungsfällen mit einem Not­arzt­fahr­zeug von sei­nem Auf­ent­halts­ort zum Ein­satz ab­ge­holt und zum Not­fal­lein­satz­ort ge­bracht, um dort ggf. le­bens­ret­tende Maßnah­men durch­zuführen und den Pa­ti­en­ten auf dem Weg ins Kran­ken­haus während des Trans­ports im Ret­tungs­wa­gen zu be­glei­ten und not­fallmäßig zu be­han­deln. Ent­spre­chend den Dienstplänen und aus­weis­lich der Stun­den­ab­rech­nun­gen über tatsäch­lich er­brachte Be­reit­schafts­dienst­zei­ten wurde der Kläger an be­stimm­ten Ta­gen im Mo­nat für 24 Stun­den durch­ge­hend als Not­arzt ein­ge­setzt. An die­sen Ta­gen durfte er sich höchs­tens 1 km von der Ret­tungs­wa­che ent­fernt auf­hal­ten. Die dem Kläger ge­zahlte - mi­nu­ten­ge­nau ab­ge­rech­nete - Stun­den­vergütung be­trug pau­schal 20 €. Die Vergütung wurde für die Zeit der Be­reit­schaft ge­leis­tet. Für den ein­zel­nen Ein­satz wurde keine Ex­tra­vergütung ge­zahlt. Rech­nun­gen an X wur­den vom Kläger nicht er­teilt. Die Ab­rech­nung mit den Not­fall­pa­ti­en­ten er­folgte durch den Träger des Ret­tungs­diens­tes, dem Land­kreis, di­rekt.

Ne­ben sei­ner Tätig­keit als Not­arzt für die Ret­tungs­wa­che war der Kläger noch als Not­arzt für die zen­trale Not­fall­pra­xis der Ärz­te­schaft (ZNP) auf Ho­no­rar­ba­sis tätig. Bei der ZNP han­delt es sich um eine Ein­rich­tung der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte mit Un­terstützung der Kas­senärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung zur Si­cher­stel­lung des ärzt­li­chen Be­reit­schafts­diens­tes außer­halb der Pra­xis-Öff­nungs­zei­ten. Leis­tun­gen, die der Kläger im Rah­men des Be­reit­schafts­diens­tes un­mit­tel­bar ge­genüber den Pa­ti­en­ten er­brachte, rech­nete er im ei­ge­nen Na­men und auf ei­gene Rech­nung ge­genüber den von ihm be­han­del­ten Pa­ti­en­ten ab. Darüber hin­aus er­hielt der Kläger von der ZNP we­gen der Zur­verfügung­stel­lung sei­ner Ar­beits­kraft während der Be­reit­schafts­dienst­zeit eine Stun­den­vergütung un­abhängig von der tatsäch­li­chen An­zahl der be­han­del­ten Pa­ti­en­ten. Das Fi­nanz­amt be­han­delte so­wohl die Umsätze aus den Not­arzt­ho­no­ra­ren von X als auch die ZNP-Erlöse als um­satz­steu­er­pflich­tig.

Das FG gab der hier­ge­gen ge­rich­te­ten Klage statt. Die Re­vi­sion zum BFH wurde we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung der Rechts­sa­che zu­ge­las­sen.

Die Gründe:
Das Fi­nanz­amt hat die Be­reit­schafts­dienste des Klägers ge­genüber X und der ZNP in den Streit­jah­ren zu Un­recht nicht als Heil­be­hand­lun­gen im Be­reich der Hu­man­me­di­zin i.S.d. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG be­han­delt.

Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG sind "Heil­be­hand­lun­gen im Be­reich der Hu­man­me­di­zin, die im Rah­men der Ausübung der Tätig­keit als Arzt, Zahn­arzt, Heil­prak­ti­ker, Phy­sio­the­ra­peut, Heb­amme oder ei­ner ähn­li­chen heil­be­ruf­li­chen Tätig­keit durch­geführt wer­den" steu­er­frei. Die Vor­schrift be­ruht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwSt­Sys­tRL, wo­nach Heil­be­hand­lun­gen im Be­reich der Hu­man­me­di­zin, die im Rah­men der Ausübung der von dem be­tref­fen­den Mit­glied­staat de­fi­nier­ten ärzt­li­chen und arztähn­li­chen Be­rufe durch­geführt wer­den, steu­er­frei sind.

Der Be­griff der Heil­be­hand­lun­gen im Be­reich der Hu­man­me­di­zin ist nach der Recht­spre­chung des EuGH nicht be­son­ders eng aus­zu­le­gen. Er um­fasst die Dia­gnose, die Be­hand­lung und, so­weit möglich, die Hei­lung von Krank­hei­ten oder Ge­sund­heitsstörun­gen. Heil­be­hand­lun­gen müssen einen the­ra­peu­ti­schen Zweck ha­ben. Zu den Heil­be­hand­lun­gen im Be­reich der Hu­man­me­di­zin gehören auch Leis­tun­gen, die zum Zweck der Vor­beu­gung er­bracht wer­den, wie vor­beu­gende Un­ter­su­chun­gen und ärzt­li­che Maßnah­men an Per­so­nen, die an kei­ner Krank­heit oder Ge­sund­heitsstörung lei­den, so­wie Leis­tun­gen, die zum Schutz ein­schließlich der Auf­recht­er­hal­tung oder Wie­der­her­stel­lung der mensch­li­chen Ge­sund­heit er­bracht wer­den. Al­ler­dings kann der Be­griff "ärzt­li­che Heil­be­hand­lung" nicht auf sämt­li­che Leis­tun­gen, die mit der Be­hand­lung von Pa­ti­en­ten zu­sam­menhängen, aus­ge­dehnt wer­den. Denn die bei der Aus­le­gung des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG zu berück­sich­ti­gende Be­stim­mung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwSt­Sys­tRL enthält - im Ge­gen­satz zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwSt­Sys­tRL - keine Be­zug­nahme auf Umsätze, die "mit ärzt­li­chen Heil­be­hand­lun­gen eng ver­bun­den" sind.

Nach all­dem han­delt es sich bei den vom Kläger in den Streit­jah­ren ge­genüber X und der ZNP er­brach­ten notärzt­li­chen Be­reit­schafts­diens­ten um Heil­be­hand­lun­gen im Be­reich der Hu­man­me­di­zin. Reine ärzt­li­che Be­reit­schafts­dienste, wel­che da­durch ge­kenn­zeich­net sind, dass sich ein Arzt zur Si­cher­stel­lung der notärzt­li­chen Be­hand­lung in einem Land­kreis je­der­zeit zum Ein­satz be­reithält, sind als Heil­be­hand­lun­gen ein­zu­stu­fen, denn der­ar­tige Dienste sind für notärzt­li­che Be­hand­lun­gen un­erläss­lich und gehören zum ty­pi­schen Be­rufs­bild ei­nes Arz­tes. Die Über­nahme der­ar­ti­ger Be­reit­schafts­dienste ist da­her nicht etwa nur Vor­aus­set­zung für eine ggf. er­for­der­li­che Not­fall­be­hand­lung, son­dern sie dient selbst der Be­hand­lung ei­ner Krank­heit oder Ge­sund­heitsstörung und wird da­her von § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG mit um­fasst.

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