Der Sachverhalt:
Streitig ist, ob die von der Klägerin im Streitjahr (2007) erbrachten Betreuungsleistungen gegenüber Kindern und Jugendlichen steuerfrei sind. Die Klägerin ist eine juristische Person in der Rechtsform einer GmbH, die nach ihrem Gesellschaftszweck ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgt. Diese Zwecke bestehen u.a. in der Förderung der Jugend in Bildung und Erziehung sowie der Jugendhilfe nach §§ 27 ff. KJHG. Der Satzungszweck wird insbesondere verwirklicht durch: "a) Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff. KJHG, hier insbesondere die Unterhaltung einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung, für stationäre und ambulante Hilfen, zur Bekämpfung der Verwahrlosung, u.a. bei Drogenmissbrauch, körperlicher und seelischer Misshandlung".
Die Klägerin hielt ihre Leistungen für steuerfrei und gab daher für das Streitjahr keine Umsatzsteuererklärung ab. Dagegen unterwarf das Finanzamt im Anschluss an eine Außenprüfung die von der Klägerin erbrachten Leistungen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe i.H.v. rd. 115.000 € (netto) der Umsatzsteuer. Die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung lägen weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht vor. Nach der Rechtsprechung des BFH könnten nur solche Einrichtungen als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt werden, die - anders als die Klägerin im Streitfall - unmittelbar mit den öffentlichen Trägern der sozialen Sicherheit abrechneten.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil des FG auf und gab der Klage statt.
Die Gründe:
Das FG hat zwar eine Steuerfreiheit der Betreuungsleistungen nach nationalem Recht zutreffend abgelehnt. Entgegen der Auffassung des FG ist die Klägerin jedoch als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt, sodass die von ihr erbrachten Betreuungsleistungen nach Unionsrecht steuerfrei sind.
Nach § 4 Nr. 25 UStG 2005 i.d.F. des JStG 2008 sind die Leistungen der Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VIII steuerfrei, wenn diese Leistungen von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe oder anderen Einrichtungen mit sozialem Charakter erbracht werden. Die Klägerin ist kein Träger der Jugendhilfe, sie gehört aber zu den anderen Einrichtungen mit sozialem Charakter. Denn sie unterhält ein Wohnheim, in dem Kinder und Jugendliche mit psychischer Behinderung untergebracht sind. Für den Betrieb dieser Einrichtung ist eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII erforderlich. Diese ist der Klägerin durch den Verband (Landesjugendamt) per Bescheid im Februar 2002 und März 2007 erteilt worden. Eine Steuerbefreiung der erbrachten Leistungen schied vorliegend jedoch aus, weil die Neufassung des § 4 Nr. 25 UStG gem. § 27 Abs. 1 UStG i.V.m. Art. 28 Abs. 4 JStG 2008 erst für Umsätze gilt, die ab dem 1.1.2008 ausgeführt werden.
Die Klägerin kann sich für die Steuerfreiheit ihrer Leistungen aber auf das Unionsrecht berufen. Steuerfrei sind nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL "eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen". Diese Bestimmung knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen handeln und der leistende Unternehmer muss als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt sein.
Die Leistungen der Klägerin sind eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbunden. Sie betreibt ein Wohnheim, in dem psychisch und seelisch kranke Kinder und Jugendliche untergebracht sind und behandelt werden. Damit wird sie gegenüber dem Jugendamt im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe (§§ 27 bis 41 SGB VIII) tätig. Die Klägerin ist - entgegen der Auffassung des FG - auch als Einrichtung i.S.v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL "anerkannt". Ihre Anerkennung folgt aus spezifischen Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit, ihrer Tätigkeit im Gemeinwohlinteresse sowie der (mittelbaren) Kostenübernahme.
Für die Anerkennung spricht insbesondere die Erteilung der Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Regelung der Heimaufsicht über die Einrichtungen des Jugendhilferechts, sondern um eine spezifische Vorschrift im Bereich der sozialen Sicherheit. An der Tätigkeit der Klägerin im Bereich der Kinder- und Jugendbetreuung besteh auch ein besonderes Gemeinwohlinteresse. Es liegt im allgemeinen Interesse, psychisch Erkrankte bereits frühzeitig zu betreuen und ihnen die Chance einer Teilhabe am späteren Erwerbsleben und der Gesellschaft zu ermöglichen. Zu berücksichtigen ist schließlich die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen durch Einrichtungen der sozialen Sicherheit. Die Klägerin stellt die von ihr erbrachten Leistungen der als Trägerin der freien Jugendhilfe nach § 75 i.V.m. § 45 SGB VIII anerkannten GbR in Rechnung. Diese wiederum rechnete die von der Klägerin erbrachten Leistungen mit den öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe ab. Auch eine derartige mittelbare oder "durchgeleitete" Kostentragung erfüllt das Merkmal der Kostenübernahme.
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