Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist ein Kreditinstitut, dem als Drittschuldner in den letzten Jahren jeweils über 1.000 Pfändungs- und Einziehungsverfügungen von Finanzbehörden zugestellt worden waren. Seitens des Hauptzollamt (HZA) geschah dies in den Jahren 2017 und 2018 jeweils mehr als hundertmal. Zu den Kunden der Klägerin gehörte auch die A GmbH; diese Geschäftsbeziehung ist inzwischen beendet. Im Jahr 2017 führte das HZA aufgrund entsprechender Aufträge die Vollstreckung von Beitragsforderungen der Krankenkasse (Gläubigerin) gegen die A GmbH (Schuldnerin) durch. In diesem Zusammenhang erzeugte das HZA zwei Pfändungs- und Einziehungsverfügungen über das IT-Verfahren "Elektronisches Vollstreckungssystem" (eVS), druckte diese über eine zentrale Druckstraße aus und veranlasste deren förmliche Zustellung an die Klägerin.
Mit den Verfügungen pfändete das HZA wegen Beitragsschulden der Schuldnerin deren Ansprüche gegen die Klägerin auf Zahlung der zu Gunsten der Schuldnerin bestehenden Guthaben und ordnete die Einziehung der gepfändeten Forderungen bis zur Höhe des in der jeweiligen Verfügung bezifferten Gesamtbetrags an. Die Verfügungen enthalten das jeweils an die Klägerin gerichtete Verbot, an den Schuldner zu leisten oder bei einer Verfügung über dessen Ansprüche mitzuwirken, sowie die Aufforderung, innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung der Verfügung eine Drittschuldnererklärung abzugeben und hierzu vier Fragen zu beantworten.
Die der Klägerin mit Zustellungsurkunde zugestellten Verfügungen weisen im Briefkopf jeweils den Namen und die Anschrift des HZA und den Namen des Bearbeiters auf. Sie tragen weder eine Unterschrift noch ein Dienstsiegel; mit einer Rechtsbehelfsbelehrung sind diese Ausfertigungen nicht versehen. Sie schließen jeweils mit dem Satz: "Dieses Schriftstück ist ohne Unterschrift und ohne Namensangabe gültig". Die Klägerin hielt die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen für rechtswidrig.
Das FG wies die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Gründe:
Das FG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass die beiden Pfändungs- und Einziehungsverfügungen als formularmäßig erlassene Verwaltungsakte gemäß § 119 Abs. 3 Satz 2 AO keine Unterschrift oder Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten müssen. Anhand der bisher getroffenen Feststellungen kann aber nicht abschließend beurteilt werden, ob die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen zulässigerweise mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen worden sind und deshalb keine Unterschrift oder Namenswiedergabe erforderlich ist.
Nach § 309 Abs. 1 Satz 1 AO muss eine Pfändungsverfügung schriftlich ergehen. Die Pfändung setzt nach dem Wortlaut der Vorschrift voraus, dass sowohl das an den Drittschuldner gerichtete Verbot, an den Vollstreckungsschuldner zu zahlen (Arrestatorium) als auch das an den Vollstreckungsschuldner gerichtete Gebot, sich jeder Verfügung über die Forderung zu enthalten (Inhibitorium), schriftlich erfolgen müssen. Das HZA hatte der Klägerin entsprechende, auf das HZA als ausstellende Behörde hinweisende Urkunden zustellen lassen, in denen Arrestatorium und Inhibitorium enthalten sind. Die beiden Pfändungsverfügungen sind nicht in der nach § 309 Abs. 1 Satz 2 AO für solche Verwaltungsakte ausgeschlossenen elektronischen Form ergangen. Wie sich aus § 87a Abs. 4 AO ergibt, kommt es nicht auf die Erzeugung der Verwaltungsakte mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitungsanlagen an, sondern auf die äußere Form. Entscheidend ist, ob dem Adressaten ein elektronisches Dokument übermittelt wird. Das war im Streitfall nicht der Fall.
Die Pfändungsverfügungen entsprachen mangels Unterschrift nicht den Formerfordernissen nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Durchführung der Vollstreckung nach der AO (Vollstreckungsanweisung - VollstrA -). In der bis 14.11.2017 geltenden Fassung der VollstrA war in Abschn. 41 Abs. 2 Nr. 7 (noch) geregelt, dass eine Pfändungsverfügung "die Unterschrift eines zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsstelle" enthalten müsse. Es handelt sich hierbei um norminterpretierende Verwaltungsvorschriften, die keine Bindungswirkung im gerichtlichen Verfahren haben. Sie stehen unter dem Vorbehalt einer abweichenden Auslegung der Norm durch die Rechtsprechung. Dieser allein obliegt es zu entscheiden, ob die Auslegung der Rechtsnorm durch die Finanzverwaltung im Einzelfall Bestand hat.
Nach § 119 Abs. 3 Satz 2 AO muss ein schriftlicher Verwaltungsakt grundsätzlich die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten, woran es im Streitfall fehlte. Nach § 119 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 AO ist eine Unterschrift oder die Namenswiedergabe nicht erforderlich für Verwaltungsakte, die formularmäßig oder mit Hilfe elektronischer Einrichtungen erlassen werden. Damit wird eine eigenständige Regelung für das Abgabenrecht getroffen, die der allgemeinen Regelung in § 126 BGB, wonach die Schriftform eine eigenhändige Unterschrift (oder ein notariell beglaubigtes Handzeichen) enthalten muss, vorgeht.
Nach den Feststellungen des FG hatte sich das HZA des IT-Verfahrens eVS bedient. Insofern ist nach den Feststellungen des FG nicht erkennbar, nach welchen konkreten Vorgaben das System die Entscheidung der Behörde umsetzt Das FG wird nun im zweiten Rechtsgang zu ermitteln haben, wie genau das eVS durch das HZA genutzt wird; insbesondere in welcher Weise und unter welchen Voraussetzungen das System die von der Behörde zu treffenden Entscheidungen unterstützt und umsetzt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass automatische Einrichtungen nur Hilfsmittel der Behörde sein dürfen, die Entscheidung selbst muss durch die Behörde getroffen werden. Über die Art und Weise der Entscheidung und das Ergebnis der Datenverarbeitung muss die Behörde durch die Programmierung entscheiden. Das ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil es sich bei den streitgegenständlichen Verfügungen um Ermessensentscheidungen handelt, die einen Automatismus ausschließen.
Für die Frage, ob eine Pfändungsverfügung i.S.d. § 309 Abs. 1 Satz 2 AO in elektronischer Form vorliegt, ist darauf abzustellen, ob dem Adressaten ein elektronisches Dokument übermittelt wird. § 309 Abs. 1 Satz 2 AO verdrängt die Anwendung des § 119 Abs. 3 AO nicht insgesamt, sondern nur insoweit, als es um die Zulässigkeit einer Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form geht. Pfändungsverfügungen können in der Regel nicht formularmäßig ergehen, weil es sich bei deren Erlass um Ermessensentscheidungen handelt, deren Begründung die Aufnahme der Ermessenserwägungen bedarf.