Der Sachverhalt:
Berlioz ist eine Aktiengesellschaft luxemburgischen Rechts, die Dividenden erhielt, die ihr ihre Tochtergesellschaft, die vereinfachte Aktiengesellschaft französischen Rechts Cofima, unter Befreiung von der Quellensteuer gezahlt hatte. Bei einer Prüfung der Steuerangelegenheiten der Cofima richtete die französische Steuerverwaltung im Jahr 2014 an die luxemburgische Steuerverwaltung ein Informationsersuchen über die Muttergesellschaft Berlioz Investment Fund. Auf Ersuchen der luxemburgischen Steuerbehörden teilte Berlioz alle gewünschten Informationen mit, außer den Namen und Anschriften ihrer Gesellschafter sowie der Höhe und der Beteiligungsquote der von diesen jeweils gehaltenen Kapitalanteile.
Berlioz legte daraufhin beim Verwaltungsgerichtshof Luxemburg Berufung ein, weil sie ihr durch die Charta der Grundrechte der EU garantiertes Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf für verletzt hielt. Der Verwaltungsgerichtshof Luxemburg hat sich an den EuGH gewandt, um u.a. feststellen zu lassen, ob er die Begründetheit der Anordnung und folglich des französischen Informationsersuchens, auf das diese gestützt ist, prüfen darf. Der EuGH hat entschieden, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats zwar kontrollieren dürfen, ob die Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats um Steuerinformationen rechtmäßig sind. Diese Kontrolle beschränkt sich aber auf die Prüfung, ob den erbetenen Informationen die voraussichtliche Erheblichkeit für die betreffende Steuerprüfung nicht offenkundig völlig zu fehlen scheint.
Die Gründe:
Festzustellen war, dass die Charta der Grundrechte der EU anwendbar ist, da die luxemburgischen Steuerbehörden die Unionsrichtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung durchgeführt haben, um gegen Berlioz nach deren Weigerung, die erbetenen Informationen mitzuteilen, eine Geldbuße zu verhängen. Sodann muss das nationale Gericht, bei dem eine Klage gegen eine Geldbuße anhängig ist, die dem Verwaltungsunterworfenen wegen Nichtbefolgung einer Anordnung auferlegt wurde, die Rechtmäßigkeit der Anordnung prüfen dürfen, damit das in der Charta niedergelegte Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gewahrt ist. Eine solche Anordnung kann nur dann rechtmäßig sein, wenn die erbetenen Informationen für die Bedürfnisse der Steuerprüfung im ersuchenden Mitgliedstaat "voraussichtlich erheblich" sind.
Die Pflicht der Steuerbehörden eines Mitgliedstaats, mit den Steuerbehörden eines anderen Mitgliedstaats zusammenzuarbeiten, erstreckt sich nach dem Wortlaut der Richtlinie nur auf die Mitteilung "voraussichtlich erheblicher" Informationen. Daher ist es den Mitgliedstaaten nicht gestattet, sich an Beweisausforschungen ("fishing expeditions") zu beteiligen oder um Informationen zu ersuchen, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie für die Steuerangelegenheiten des betreffenden Steuerpflichtigen erheblich sind. Die Mitgliedstaaten bestimmen zwar die Informationen, die sie für notwendig halten. Sie dürfen jedoch nicht um Informationen ersuchen, die für die betreffende Ermittlung unerheblich sind, wobei sich der Adressat einer Anordnung vor Gericht darauf berufen können muss, dass das Informationsersuchen nicht mit der Richtlinie vereinbar und die sich daraus ergebende Anordnung daher rechtswidrig ist.
Die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats (hier die luxemburgischen Steuerbehörden) dürfen sich nicht auf eine summarische und formelle Prüfung der Ordnungsmäßigkeit des Informationsersuchens beschränken, sondern müssen sich auch vergewissern, dass den erbetenen Informationen angesichts der Identität des von der Ermittlung betroffenen Steuerpflichtigen und deren Zweck die voraussichtliche Erheblichkeit nicht völlig fehlt. Desgleichen muss das Gericht des ersuchten Mitgliedstaats (hier das luxemburgische Gericht) die Rechtmäßigkeit des Ersuchens kontrollieren dürfen. Es darf jedoch nur prüfen, ob sich die Anordnung auf ein hinreichend begründetes Informationsersuchen stützt, das Informationen betrifft, denen für die betreffende Steuerprüfung die voraussichtliche Erheblichkeit nicht offenkundig völlig zu fehlen scheint.
Schließlich muss das Gericht Zugang zu dem Informationsersuchen und zu allen ergänzenden Informationen haben, die die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats vom ersuchenden Mitgliedstaat erhalten haben können, damit es seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Dem Verwaltungsunterworfenen kann jedoch entgegengehalten werden, dass das Informationsersuchen vertraulich ist und er daher kein Recht auf Zugang zu dem gesamten Ersuchen hat. Damit seine Sache in einem fairen Verfahren verhandelt werden kann, muss er jedoch Zugang zu den wesentlichen Informationen des Informationsersuchens (nämlich der Identität des betroffenen Steuerpflichtigen und dem steuerlichen Zweck der erbetenen Informationen) haben, wobei das Gericht ihm bestimmte weitere Informationen übermitteln darf, wenn es der Ansicht ist, dass diese wesentlichen Informationen nicht genügen.
Linkhinweis:
Für die auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Entscheidung klicken Sie bitte hier.