Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurden die Vorgaben für die Einführung der elektronischen Rechnungsstellung in Deutschland intensiv diskutiert und mehrfach geändert. Welche Regelungen wurden denn nun tatsächlich eingeführt?
Robert Backes: Ab dem 01.01.2025 ist die elektronische Rechnung für im Inland steuerbare Umsätze zwischen inländischen Unternehmern (B2B) verpflichtend. Das bedeutet, dass jeder Unternehmer ab 2025 in der Lage sein muss, eRechnungen zu empfangen und zu verarbeiten.
Für die aktive Verwendung der eRechnung bestehen zeitliche Übergangsregelungen bis einschließlich 31.12.2026 und für Unternehmer mit einem Gesamtumsatz von bis zu 800.000 Euro sogar bis Ende 2027. Ausnahme für Kleinunternehmer gibt es aber nicht. Allerdings dürfen für Kleinbetragsrechnungen und Fahrausweise weiterhin andere Rechnungsformate oder Papierrechnungen verwendet werden.
Sind denn die Verbraucher bzw. Privatkunden in irgendeiner Weise von der eRechnungspflicht betroffen?
Robert Backes: Nein, die Pflicht zum Empfang und zur Verarbeitung von eRechnungen betrifft ausschließlich Unternehmer.
Ist die elektronische Rechnungsstellung im B2B-Bereich wirklich für alle Unternehmer und alle Umsätze verpflichtend?
Robert Backes: Grundsätzlich ja, und zwar für alle im Inland steuerbaren Umsätze zwischen inländischen Unternehmern. Betroffen sind also Unternehmer, die ihren Sitz, ihre Geschäftsleitung, eine Betriebsstätte, die an dem Umsatz beteiligt ist, oder ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Eine reine umsatzsteuerliche Registrierung eines ausländischen Unternehmers in Deutschland ohne gleichzeitige Ansässigkeit führt dagegen nicht zur eRechnungspflicht.
Was ist technisch unter einer elektronischen Rechnung bzw. eRechnung nach den neuen Vorgaben zu verstehen?
Martin Rieg: Eine eRechnung ist eine Rechnung, die in einem strukturierten elektronischen Format ausgestellt, übermittelt und empfangen wird und eine elektronische Verarbeitung ermöglicht. Das bedeutet, die eRechnung besteht aus einem (XML-)Datensatz, der für das menschliche Auge nicht lesbar ist. Per Mail oder Rechnungsportale versendete Rechnungen im PDF-Format sind demgegenüber keine eRechnungen. Wichtig ist, dass die eRechnung den Vorgaben der CEN-Norm EN 16931 entsprechen muss. Auf diesem Standard basieren auch schon die im B2G-Bereich (Business-to-Government) etablierten Rechnungsformate ZUGFeRD und XRechnung.
Die Finanzverwaltung hat bereits in einem an die Wirtschaftsverbände gerichteten Schreiben klargestellt, dass XRechnungen und Rechnungen im ZUGFeRD-Format (allerdings erst ab Version 2.0.1) grundsätzlich den Anforderungen an eine eRechnung genügen.
Also erfüllen bereits zwei etablierte Formate die neuen Anforderungen. Ist schon eine Einschätzung möglich, welches Format sich für die tägliche Praxis besser eignet?
Martin Rieg: Der Einsatz von ZUGFeRD kann sich deshalb anbieten, weil hier neben dem erforderlichen XML-Datensatz auch ein ohne Konvertierungssoftware lesbarer Bildteil der Rechnung im PDF-Format generiert wird. Nachteilig an ZUGFeRD ist allerdings, dass ggf. keine Übermittlung über bestimmte Schnittstellen, etwa beim Einsatz des sog. Peppol-Netzwerkes, EDI, möglich ist. Demgegenüber besteht die XRechnung aus einem reinen Datensatz.
Neben den in Deutschland bereits gebräuchlichen Formaten xRechnung und ZUGFeRD können auch Formate verwendet werden, die bereits aus anderen Staaten bekannt sind wie, z. B. FatturaPA (Italien) oder Factur-X (Frankreich).
Die Nutzung bekannter Formate könnte einigen Unternehmen die Umstellung erleichtern. Wird denn auch das elektronische Datenaustauschverfahren, kurz EDI-Verfahren, künftig weiterhin eine Rolle spielen?
Robert Backes: Der Gesetzgeber hat sich für eine technologieoffene Ausgestaltung der eRechnungspflicht entschieden. Das bedeutet, dass alle Rechnungsformate, die der Norm EN 16931 entsprechen, zulässig sind. Abweichend davon kann das strukturierte elektronische Format unter bestimmten Voraussetzungen auch zwischen Rechnungsaussteller und Rechnungsempfänger vereinbart werden und von den Vorgaben der Norm EN 16931 abweichen. Das setzt aber voraus, dass die Rechnungspflichtangaben richtig und vollständig in ein kompatibles Format extrahiert werden können, das der CEN-Norm entspricht und mit diesem interoperabel ist. Damit wird auch die Weiternutzung von EDI-Verfahren wie EDIFACT grundsätzlich ermöglicht, wenn Leistender und Leistungsempfänger dies vereinbaren. Für die Weiternutzung spricht auch, dass EDI-Nutzer ein Jahr länger Zeit haben, sich auf die neuen Regelungen vorbereiten, nämlich bis Ende 2027.
Insb. für die Rechnungseingangsseite, also für den Empfang von eRechnungen, bleibt Unternehmern nicht mehr viel Vorlaufzeit. Was ist hier bis zum 01.01.2025 auf jeden Fall zu veranlassen?
Robert Backes: Ab 2025 können Unternehmen beginnen, eRechnungen zu versenden. Die Entscheidung liegt grundsätzlich allein in der Hand des Ausstellers. Das Einverständnis des Empfängers ist dabei nicht notwendig, und es gibt auch kein Wahlrecht für die Ausstellung einer Papier- oder PDF-Rechnung. Die Finanzverwaltung vertritt hierzu die Meinung, dass kein Anrecht auf eine alternative Rechnungsstellung besteht, wenn ein Leistungsempfänger die Annahme einer eRechnung verweigert oder dazu technisch nicht in der Lage ist. Dies hat zur Folge, dass der Vorsteuerabzug gefährdet sein könnte. Jeder Unternehmer muss deshalb in der Lage sein, eRechnungen zu empfangen. Der einfachste Weg, die Empfangsbereitschaft sicherzustellen, ist die Einrichtung eines Mailpostfachs, das eingehende XML-Dateien empfangen, visualisieren und weiterverarbeiten kann.
Unternehmen sollten in Betracht ziehen, das eRechnungsprojekt im Ganzen anzugehen, anstatt die reine Empfangsbereitschaft getrennt von der Übermittlungsfähigkeit zu betrachten. Dabei sollte auch geprüft werden, ob eine weitergehende Optimierung der Rechnungs- und Freigabeprozesse möglich und sinnvoll ist.
Wenn Unternehmen diesem Rat folgend auch gleich aktiv die ausgangsseitige Verwendung von eRechnungen in Angriff nehmen, wie sollten sie ein solches umfassendes Projekt angehen?
Martin Rieg: Nach unserer Erfahrung aus den letzten Monaten ist die Umsetzung auf der Ausgangsseite komplexer, denn oftmals gibt es Sonderfälle und gewachsene Prozesse, die nicht eRechnungs-kompatibel sind. Je früher man sich dem Thema widmet, desto früher kann man sich aufkommenden Hürden widmen.
Zunächst sollte man sich einen Überblick darüber verschaffen, wo im Unternehmen rechnungsrelevante Prozesse auf der Ein- und Ausgangsseite stattfinden und welche Systeme bisher zum Einsatz kommen. Dabei sollte eingegrenzt werden, welche Rechnungstypen verwendet werden und welche Sonderfälle, wie bspw. Gutschriften, Anzahlungen, Dauerrechnungen, Verträge etc., zu beachten sind. Dabei ist wichtig zu wissen, welche Module und Systeme bisher bereits zum Einsatz kommen und zu klären, welche Möglichkeiten diese schon bieten. Auf Basis dieser Bestandsaufnahme kann der Anforderungsbedarf festgestellt und können Lösungswege gefunden werden.
Das heißt also, dass die Umstellung auf die elektronische Rechnungsstellung kein alleiniges Steuer- oder Rechnungswesenprojekt ist?
Martin Rieg: Nein, auf keinen Fall. Es ist weder ein reines Rechnungswesen- noch ein reines IT-Projekt. Die Anforderungen an die eRechnung sind zwar im Umsatzsteuergesetz geregelt, jedoch ist für die Umsetzung neben einem umfänglichen Umsatzsteuerverständnis auch die Kenntnis der Faktura- bzw. ERP-Systeme gefragt.
In eine eRechnung fließen verschiedene umsatzsteuerlich relevante Informationen ein, sowohl Stammdaten als auch transaktionale Informationen; daher muss die eRechnung prozessual in die Systemlandschaft eingefügt werden. Spätestens hier wird klar, dass es sich um ein Schnittstellenprojekt zwischen Steuer-/Rechnungswesen und IT handelt.
Bei Schnittstellenprojekten wird meist eine Vielzahl unterschiedlicher Ressourcen aus verschiedenen Bereichen benötigt. Wie kann denn der erforderliche Ressourcenaufwand am besten abgeschätzt werden?
Robert Backes: Der Aufwand für die Umstellung auf elektronische Rechnungsprozesse hängt stark vom bisherigen Digitalisierungsgrad ab. So sind nach unserer Erfahrung die Unternehmen sehr unterschiedlich aufgestellt.
Für manche ist die Umstellung nur ein Klick, für andere bedeutet sie eine Neueinrichtung von Prozessen und Systemen. Deshalb ist zunächst die Analyse der Rechnungsprozesse erforderlich, um abzuschätzen, welche technischen und personellen Ressourcen notwendig sind. Wir arbeiten hierfür mit unserem RSM Ebner Stolz eRechnung Readiness Check, der eine schnelle Ersteinschätzung des individuellen Handlungsbedarfs auf Basis des Ist-Zustands der Rechnungsprozesse und der eingesetzten Systeme ermöglicht. Auf diese Weise identifizieren wir die Handlungsfelder und geben den Unternehmen einen Fahrplan an die Hand, welche Umsetzungsschritte erforderlich sind und welche Schritte bei dem Umstellungsprojekt priorisiert werden sollten.
Das hört sich nach einem Mammut-Projekt an. Damit dürfte nun also höchste Zeit sein, die Umstellung anzustoßen.
Robert Backes: In der Tat handelt es sich um ein großes Projekt, das nicht unterschätzt werden darf. Daher sollte man den Projektstart nicht hinauszögern.
Bei der Umstellung sollte außerdem schon berücksichtigt werden, welche Verpflichtungen zur elektronischen Rechnungsstellung im Ausland auf das eigene Unternehmen zukommen können, so dass auch dies bei dem Projekt berücksichtigt werden kann. Das gleiche gilt für die Behandlung von grenzüberschreitenden Transaktionen durch die ViDA-Initiative der EU-Kommission.
Insgesamt bietet sich das eRechnung-Projekt auch an, generell Prozesse zu modernisieren und zu digitalisieren. Zudem können Potentiale zur Beschleunigung und Effizienzsteigerung genutzt werden.