Zweifel des BFH an der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Übermaßverbots
Infolge des Urteils des BVerfG vom 10.04.2018 (Az. 1 BvL 11/14 u. a.) war eine Neuregelung der Bewertung von Grundbesitz für Zwecke der Grundsteuer auf den 01.01.2022 erforderlich. Dem kam der Gesetzgeber mit den neuen Regelungen in §§ 218 ff. BewG nach, wobei dieses sog. Bundesmodell nicht von allen Bundesländern angewendet wird. Dem Bundesmodell liegt die Grundentscheidung zugrunde, dass eine am Sollertrag orientierte pauschalierte Wertermittlung vorgenommen werden soll.
Dazu führt der BFH eingangs in zwei Beschlüssen vom 27.05.2024 (Az. II B 78/23 (AdV), DStR 2024, S. 1355, sowie Az. II B 79/23 (AdV)) aus, dass der Gesetzgeber grundsätzlich einen weiten Entscheidungsspielraum bei den Regelungen zur Neubewertung von Grundbesitz gehabt habe.
Hinweis: Ausführliche Informationen zu den BFH-Beschlüssen finden Sie hier.
Eine dem verfassungsrechtlich geschützten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem daraus folgenden Übermaßgebot beachtende Besteuerung werde grundsätzlich gewährleistet - so der BFH weiter -, wenn sich eine solche Bewertung am gemeinen Wert orientiere und der Sollertrag mittels einer verkehrswertorientierten Bemessungsgrundlage bestimmt werde. Ergebe sich im Einzelfall eine Abweichung des nach den Bewertungsvorgaben ermittelten Werts vom gemeinen Wert, sei dies in der Regel hinzunehmen.
Das Übermaßverbot könne jedoch dann verletzt sein, wenn der ermittelte Wert erheblich höher sei als ein nachgewiesener niedrigerer gemeiner Wert. Im Zusammenhang mit der Bewertung eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft ging der BFH davon bei einem Übersteigen des gemeinen Werts um 40 % oder mehr aus (BFH-Urteil vom 16.11.2022, Az. II R 39/20).
Da eine abweichende Wertfeststellung des Grundsteuerwerts mit einem niedrigeren gemeinen Wert nicht vorgesehen ist (vgl. § 220 Satz 2 BewG) und in den Streitfällen nicht auszuschließen sei, dass der Nachweis eines deutlich niedrigeren Werts gelingen könnte, bestehen laut BFH ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheids, weswegen AdV gewährt wurde.
Reaktion der Finanzverwaltung
Hierauf reagierten nun die obersten Finanzbehörden der Länder mit koordinierten Erlassen vom 24.06.2024 und ermöglichen den Ansatz eines niedrigeren gemeinen Werts, wenn der nach den §§ 218 ff. BewG ermittelte Grundsteuerwert den nachgewiesenen gemeinen Wert unter Berücksichtigung der Wertverhältnisse zum Hauptfeststellungszeitpunkt um mindestens 40 % übersteigt.
Den Steuerpflichtigen trifft dabei die Nachweislast für einen geringeren gemeinen Wert. Der Nachweis kann regelmäßig durch ein Gutachten des zuständigen Gutachterausschusses oder von einer als Sachverständiger oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken bestellten oder zertifizierten Person erbracht werden. Zudem kann als Nachweis ein innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Hauptfestfeststellungszeitpunkt zustande gekommener Kaufpreis dienen.
Hinweis: Die Grundsätze sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Sofern ein um mindestens 40 % niedrigerer gemeiner Wert nachgewiesen wird und die Feststellung des Grundsteuerwerts bestandskräftig und nicht mehr änderbar ist, ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung vorliegen. Schließlich soll auch Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung von Feststellungsbescheiden entsprochen werden, wenn und soweit schlüssig dargelegt wird, dass der Grundsteuerwert den Verkehrswert um mindestens 40 % übersteigt. Ein Verkehrswertgutachten muss zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegt werden.