de en

Entschärfung der Anti-Treaty-Shopping-Regelung durch das BZSt 

26.03.2025 | 5 Minuten Lesezeit

Mit seinem Merkblatt vom 17.03.2025 lockert das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) in Abstimmung mit dem BMF teilweise seine bislang restriktive Auffassung zur Anwendung der Antimissbrauchsregelung des § 50d Abs. 3 EStG bzgl. der Freistellung und Erstattung von deutscher Kapitalertragssteuer zum Vorteil einer antragsstellenden beschränkt steuerpflichtigen Körperschaft.

Hintergrund

Soweit die Voraussetzungen der sog. Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG vorliegen, wird der sich aus einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) oder einer EU-Richtlinie (Mutter-Tochter-RL, Zins-Lizenz-RL) ergebende Anspruch einer beschränkt steuerpflichtigen Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse (nachfolgend kurz Gesellschaft oder Antragsstellerin) auf Entlastung von der deutschen Quellensteuer ganz oder teilweise versagt. Konkret versagt § 50d Abs. 3 EStG einen grundsätzlich bestehenden Entlastungsanspruch, soweit

  1. Personen an der Gesellschaft beteiligt sind, denen eine Steuerentlastung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten (persönliche Entlastungsberechtigung bzw. sog. „Look-Through Approach“) und
  2. die Einkunftsquelle der Gesellschaft keinen wesentlichen Zusammenhang mit einer Wirtschaftstätigkeit aufweist (sachliche Entlastungsberechtigung).

Sind die vorgenannten Voraussetzungen kumulativ erfüllt, wird grundsätzlich eine missbräuchliche Gestaltung angenommen und insoweit der Entlastungsanspruch versagt. Diese Missbrauchsvermutung kann jedoch widerlegt werden, soweit die Gesellschaft nachweist, dass keiner der Hauptzwecke ihrer Einschaltung die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist (Gegenbeweis bzw. sog. „Principal Purpose Test“). Darüber hinaus liegt keine missbräuchliche Gestaltung vor, wenn die antragsstellende Gesellschaft börsennotiert ist (sog. Börsenklausel).

Die Regelung wurde aufgrund von Unvereinbarkeit mit EU-Recht mehrfach angepasst, zuletzt im Jahr 2021. Seit jeher bestehen praktische Unsicherheiten bei deren Anwendung, die u. a. zu erheblichen Verzögerungen bei der Bearbeitung von Anträgen auf Erstattung und Freistellung von deutscher Quellensteuer geführt haben. Obwohl sich die Bearbeitungszeit von Entlastungsanträgen beim BZSt zum Teil verbessert hat, kann die Bearbeitung in einigen Fällen weiterhin bis zu 24 Monate betragen.

Neues Merkblatt zur praktischen Anwendung der Antimissbrauchsregelung

Am 17.03.2025 hat das BZSt ein neues Merkblatt zur Entlastungsberechtigung nach § 50d Abs. 3 EStG veröffentlicht und darin zur praktischen Anwendung der oben genannten Voraussetzungen Stellung genommen. Das Merkblatt bezieht sich dabei lediglich auf die Freistellung sowie Erstattung von deutscher Kapitalertragsteuer nach § 50d Abs. 3 EStG, nicht aber auf die Freistellung oder Erstattung von Quellensteuer nach § 50a EStG, die insb. auf Lizenzzahlungen erhoben wird.

Im Vergleich zu seiner bisherigen Praxis lockert das BZSt in dem Merkblatt seine Sichtweise zur persönlichen Entlastungsberechtigung und zur Börsenklausel.

Persönliche Entlastungsberechtigung/Look-Through Approach:

  • Bisher hatte das BZSt hier gefordert, dass der hypothetische Entlastungsanspruch der an der Gesellschaft beteiligten Personen oder Gesellschaften auf „derselben“ Rechtsgrundlage beruht (z.B. dasselbe DBA) wie der Entlastungsanspruch der antragsstellenden Gesellschaft selbst. Ein betragsmäßig identischer Anspruch, welcher sich aus einer anderen Rechtsgrundlage ergibt (z.B. ein anderes DBA), sollte nicht ausreichen.
  • Von dieser strengen Auslegung rückt das BZSt nun ab. Nach dem neuen Merkblatt soll, sofern die an der Antragstellerin unmittelbar und/oder mittelbar beteiligten Personen oder Gesellschaften einen hypothetischen Entlastungsanspruch basierend auf einer anderen Rechtsgrundlage hätten, der Entlastungsanspruch der Antragstellerin gewährt werden. Hätten die unmittelbar oder mittelbar beteiligten Personen oder Gesellschaften aufgrund derselben oder einer anderen Rechtsgrundlage einen niedrigeren hypothetischen Entlastungsanspruch, soll nun der Entlastungsanspruch lediglich der Höhe nach entsprechend eingeschränkt werden. Folglich kann sich der Entlastungsanspruch künftig auch aus einer anderen (und/oder sogar betragsmäßig niedrigeren) Rechtsgrundlage ergeben.
  • Beispiel: US Corp. hält 100 % der Anteile an einer EU-Holding, die wiederum 100 % der Anteile an einer deutschen GmbH hält. Die GmbH schüttet eine Dividende an die EU-Holding aus.
    • Bisherige Sichtweise des BZSt: Keine persönliche Entlastungsberechtigung, da sich die hypothetische Reduktion der Kapitalertragsteuer auf 0 % bzw. 5% bei unmittelbarer Beteiligung der US Corp. an der GmbH aus dem DBA zwischen USA und Deutschland ergäbe, die Entlastungsberechtigung der EU-Holding sich aber aus der Mutter-Tochter-RL (MTR) ergibt und damit nicht auf derselben Rechtsgrundlage basiert. Soweit keine der weiteren „Escaperegelungen“ zur Anwendung kommt (keine sachliche Entlastungsberechtigung, Principal Purpose Test oder Börsenklausel), wurde die Kapitalertragsteuerentlastung bislang versagt (d. h. Kapitalertragsteuerbelastung, inkl. Solidaritätszuschlag, i. H. v. 26,375 %).
    • Neue Sichtweise des BZSt: Persönliche Entlastungsberechtigung ist gegeben. Sofern das DBA zwischen USA und Deutschland eine Reduktion der Kapitalertragsteuer auf 0 % vorsieht, kommt eine Reduktion des Kapitalertragsteuereinbehalts auf Ebene der deutschen GmbH auf 0 % zur Anwendung, was der vollständigen Quellensteuerermäßigung nach der MTR entspricht. Sollte nach dem DBA zwischen USA und Deutschland hingegen lediglich eine Reduktion auf 5 % zur Anwendung kommen, kann auch auf Ebene der deutschen GmbH für die Ausschüttung an die EU-Holding lediglich eine Reduktion des Kapitalertragsteuereinbehalts auf 5 % geltend gemacht werden.

Börsenklausel bei mehrstufigen Beteiligungsebenen:

  • Bereits nach bisheriger Ansicht des BZSt konnte die Börsenklausel auch dann zur Anwendung kommen, wenn an der antragstellenden Gesellschaft zu 100 % mittelbar oder unmittelbar eine Gesellschaft beteiligt ist, die die Voraussetzungen der Börsenklausel erfüllt, d. h. mit deren Hauptgattung der Anteile ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet. Zudem war in diesem Fall erforderlich, dass hinsichtlich dieser nachgelagerten Beteiligungsebene ein hypothetischer Entlastungsanspruch aus derselben Rechtsgrundlage bestand.
  • Den vorgehend ausgeführten Überlegungen zur persönlichen Entlastungsberechtigung entsprechend, soll die Börsenklausel nunmehr auch bei einem identischen oder höheren Entlastungsanspruch auf nachgelagerter Beteiligungsebene Anwendung finden, auch wenn dieser auf einer anderen Rechtsgrundlage beruht. Voraussetzung für die Anwendung der Börsenklausel bei mittelbarer Beteiligung ist jedoch, dass auch sämtliche zwischengeschaltete Gesellschaften im Vergleich zur Antragstellerin einen identischen oder höheren Entlastungsanspruch hätten.

Bezüglich der sachlichen Entlastungsberechtigung ergeben sich aus dem Merkblatt keine Erleichterungen. So fordert das BZSt weiterhin eine „über den Rahmen der Verwaltung eigenen bzw. fremden Vermögens hinausgehende Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr“. Das BZSt lehnt damit weiterhin die Anerkennung einer vermögensverwaltenden Tätigkeit als Wirtschaftstätigkeit ab.

Auch in Bezug auf den Gegenbeweis bzw. Principal Purpose Test ergeben sich aus dem Merkblatt keine neuen Erkenntnisse. Es sind weiterhin für die Wiederlegung der Vermutung eines Gestaltungsmissbrauchs sämtliche steuerliche und außersteuerliche Gründe von der Antragstellerin zu Grunde zu legen. Unverändert können sich laut BZSt steuerliche Vorteile auch aus dem Steuerrecht des Ansässigkeitsstaats der Gesellschafter der Antragstellerin ergeben. Ob die Erlangung eines steuerlichen Vorteils als Hauptzweck anzusehen ist, muss damit unverändert unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls entschieden werden.

Fazit

Die Erleichterungen bei der Auslegung der Entlastungsmöglichkeiten von deutscher Kapitalertragsteuer durch das BZSt sind zu begrüßen und unionsrechtlich auch geboten. Auch wenn das Merkblatt keine rechtliche Bindungswirkung hat, gibt es wichtige Hinweise zur Interpretation des § 50d Abs. 3 EStG durch das BZSt und sollte bei aktuell gestellten bzw. zukünftig zu stellenden Anträgen auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung als auch bei Erstattungsanträgen zur Anwendung kommen. Bestehende Strukturen, bei denen bislang die Kapitalertragsteuerentlastung mangels persönlicher Entlastungsberechtigung und/oder Anwendbarkeit der Börsenklausel versagt wurde, sollten im Lichte der neuen Sichtweise des BZSt überprüft werden.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die Erleichterungen auch zeitnah positiv auf die Bearbeitungsdauer von Anträgen auf Erstattung und Freistellung von deutscher Quellensteuer auswirken.

Zudem bleibt abzuwarten, ob auch das Merkblatt zur Freistellung bzw. Erstattung von deutscher Quellensteuer auf Lizenzzahlungen nach § 50a EStG aktualisiert wird. Bis dahin sollten sich Steuerpflichtige in Lizenzfällen auf das aktualisierte Merkblatt zur Kapitalertragsteuer berufen.